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38 Einführung
Fiume / Rijeka mit ihrer Umgebung (also mit Teilen der damaligen kroati-
schen Gespanschaften Modrus-Fiume / Modruš-Rijeka und Lika-Krbava).
Dem Österreichischen Küstenland stand ein Statthalter vor, der von Wien
ernannt wurde und in Triest residierte; die einzelnen Kronländer hatten ihre
eigenen Landtage und Landeshauptmänner (in Triest: Stadtrat und Bürger-
meister). Dem Ungarisch-Kroatischen Küstenland (de facto nur der ungari-
schen Stadt Fiume / Rijeka und ihrer Umgebung) stand ein Gouverneur vor,
der von Budapest ernannt wurde; die kroatischen Gespanschaften, welche
die großen Teile des Küstenlandes abdeckten, hatten ihre eigenen administ-
rativen Strukturen.
Weil sich die zu schildernden Konflikte innerkatholisch ereigneten, ist es
angebracht, das Gebiet kirchenrechtlich zu verorten: Der österreichische Teil
(mit den Bistümern Triest-Capodistria / Koper, Pola / Pula-Parenzo / Poreč
sowie Veglia / Krk) gehörte zum Erzbistum von Görz. Der ungarisch-kroati-
sche Teil, samt der ungarischen Stadt Fiume / Rijeka, war innerhalb des Erz-
bistums von Zagreb dem kroatischen Bistum Senj unterstellt.73
Staats- und kirchenrechtlich war also der oberadriatische Raum in der
Habsburger Zeit einerseits strikt zweigeteilt, er gehörte zu Österreich und
Ungarn bzw. zu den Erzbistümern Görz und Zagreb. Andererseits war sie von
der ethnisch markierten Dichotomie urbaner und ländlicher Räume geprägt:
Die adriatischen Küstenstädte waren eher italienischsprachig bewohnt und
eindeutig von einer italienischsprachigen, liberalen, antiklerikalen Elite poli-
tisch und kulturell geprägt. Das bestimmte auch das Verhältnis zwischen
»Stadt« und Kirche negativ. Im Gegensatz dazu war das ländliche Hinter-
land eher von einer südslawischen (kroatisch- oder slowenischsprachigen)
Bevölkerung bewohnt, deren Identität stark von ihrem katholischen Glau-
ben geprägt war.
In der Öffentlichkeit der Donaumonarchie galt der oberadriatische Raum
als national umkämpfter Raum, in dem das »italienische« und »südslawi-
sche« Erwachen (risorgimento, preporod) konfliktbeladen aufeinander
geprallt seien.74 Die Historiographie interessierte sich für die Region – wenn
»Nationalitätenfrage« und ihrer Auswirkung auf die katholische Kirche (etwa infolge
des starken politischen Katholizismus vor Ort) andere Dynamiken auf.
73 Die Konstellation, dass auch die ungarische Stadt Fiume / Rijeka einem kroatischen
Bistum unterstellt war, führte zu kirchenrechtlichen Separationsforderungen und
Spannungen mit dem örtlichen Klerus; darüber siehe das Kapitel 4.2.4.
74 Nicht nur werden die Konflikte in der Historiographie nach nationalen Kategorien
interpretiert – als ob ständig »Italiener« und »Südslawen« gegeneinandergestanden
hätten
–, sondern die jeweiligen Nationalismen werden auch unterschiedlich erklärt:
Während der »italienische« Nationalismus als ein westeuropäischer, liberaler Natio-
nalismus begriffen wird, gilt der südslawische als Ausdruck des »Balkans«. Insofern
wurde der oberadriatische Raum auch in der gegenwärtigen Nationalismus-For-
schung auf der Grenze zwischen zwei imaginierten Welten, dem »Westen« (»Ita-
liener«) und dem »Osten« (»Südslawen«), verortet; vgl. Glenda Sluga, The Nation
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303