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40 Einführung
zu Bosnien, zur Bukowina oder zu vielen Gebieten der ungarischen Reichs-
hälfte trennte die Religion im oberadriatischen Raum die meisten Völker
nicht voneinander. Die autochthonen »Italiener«, »Kroaten« und »Slowenen«
gehörten fast ausschließlich zur römisch-katholischen Kirche. (2) Die obera-
driatische Region war weder nur peripher noch nur zentral: Sie lag zwar an
der südlichen Peripherie der Donaumonarchie, aber mit der drittgrößten
Stadt der österreichischen Reichshälfte, der bedeutendsten Hafenstadt Triest
bzw. mit ihrem ungarischen Pendant Fiume / Rijeka war die Region für das
ganze Imperium von hoher, wirtschaftlicher und politischer Bedeutung. Das
ländliche Hinterland – sowohl hinter den Hafenstädten als auch im Inneren
von Istrien und in der ungarisch-kroatischen Gespanschaft Lika-Krbava –
war aber in der Tat peripher-ländlich, und was noch wichtiger ist: als »peri-
pher« markiert und damit marginalisiert. (3) Dieser oberadriatische Raum
war darüber hinaus staatsrechtlich zwischen Österreich und Ungarn (und
sogar innerhalb der ungarischen Reichshälfte: zwischen Ungarn und Kroa-
tien) aufgeteilt. Insofern lässt sich auch erforschen, wie ähnliche Dynamiken
der lokalen Ebene in unterschiedlichen Makrorahmen
– in einem supranati-
onalen Staat wie der österreichischen (transleithanischen) Reichshälfte bzw.
in einem »nationalisierenden« Imperium wie der ungarischen (cisleithani-
schen) Reichshälfte – wahrgenommen und ausgehandelt werden konnten.77
Sowohl die Handlungsstrategien als auch die Erfolgschancen der ländlichen
Akteure gegenüber der Amtskirche unterschieden und erklärten sich dem-
nach (vgl. Kapitel 5.2.1).
Der oberadriatische Raum der Habsburgermonarchie stellt sowohl wegen
seiner multiethnischen, mehrsprachigen Dichte als auch wegen seiner staats-
rechtlichen Lage einen interessanten Kleinraum dar, an dem sich makropo-
litisch relevante Fragen mit einem mikrogeschichtlichen Fokus beobachten
und erforschen lassen. Moritz Csáky beschreibt die ganze Donaumonarchie
als ein von endogenen und exogenen Einflüssen geprägtes staatliches wie kul-
turelles Gebilde.78 Als Grenzgebiet und Kontaktzone war der oberadriatische
77 Anita Sujoldžić, Transnational and Intercultural Practices in the Adriatric Litto-
ral of the Late Habsburg Empire, in: Collegium Antropologicum 40 (2016), S. 1–12,
hier S. 2.
78 Moritz Csáky, Historische Reflexionen über das Problem einer österreichischen
Identität, in: Herwig Wolfram / Walter Pohl (Hg.), Probleme der Geschichte Öster-
reichs und ihrer Darstellung, Wien 1991, S. 29–47, hier S. 38; Moritz Csáky, Die
Ambivalenz des kulturellen Erbes. Zentraleuropa. Moderne und / oder postmoderne
Befindlichkeit, in: Ders. / Klaus Zeyringer (Hg.), Ambivalenz des kulturellen Erbes.
Vielfachcodierung des historischen Gedächtnisses. Paradigma: Österreich, Inns-
bruck u. a. 2000, S. 29–47, hier S. 35ff.; sowie ders., Culture as a Space of Commu-
nication, in: Johannes Feichtinger / Gary B. Cohen (Hg.), Understanding Multi-
culturalism. The Habsburg Central European Experience, New York / Oxford 2014,
S. 187–208, hier S. 189f.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303