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47Methode
und Konzepte
Meine Herangehensweise besteht also darin, unterschiedliche lokale
Kon flikte sehr detailliert zu rekonstruieren. Daraus ergeben sich zuerst
nur diverse Einzelmomente, die auf den ersten Blick die Kontingenz des
Lebens beweisen könnten. Indem aber diese Einzelmomente – entsprechend
dem alltagsgeschichtlichen Ansatz von Alf Lüdtke – rekonstruktiv vernetzt
werden,97 entsteht ein neues Bild von der lokalen Ebene und ihren Konflik-
ten. Durch die Konflikte lässt sich – wie Roy Beth in seiner Fallstudie über
dörfliche Gewalt betonte – die tiefe soziale Realität eines Mikrokosmos zum
Vorschein bringen.98 Ein solches Bild zeigt etwa auf der lokalen Ebene der
Habsburgermonarchie keine dichotomische Helligkeit und Dunkelheit, mit
starken und klaren Grenzen, sondern Schattierungen und Grauzonen. Oder
wie Moritz Csáky – der Metapher von Ernst Gellner folgend – formuliert:
Statt eines klar strukturierten Modigliani-Bildes lässt sich die lokale Ebene
der ganzen Habsburgermonarchie vielmehr mit einem Kokoschka-Bild
– mit
ihren unscharfen und ineinanderfließenden Farben – darstellen.99
Wie können aber die lokalen, verschwommenen Realitäten jenseits der eli-
tären, städtischen Diskurse und ihrer hellen Kategorien überhaupt erkannt
werden? Während die städtischen Debatten archivarisch und erinnerungs-
politisch gut dokumentiert sind – was freilich nicht bedeuten soll, dass
ihre quantitative Intensivität das reale Alltagsleben in den Städten wider-
spiegelte –, lässt sich die abweichende Realität in den ländlichen Gebieten
quellenmäßig schwieriger aufspüren. Bauern und andere marginalisierte
Gruppen beschreiben selten ihre eigenen Intentionen.100 Sie werden meis-
tens von anderen Akteuren und ihren Diskursen dargestellt – aber in dieser
Repräsentation werden sie »fremdgeschrieben«. Die Geschichte wird hin-
gegen in der mikrogeschichtlichen Perspektive immer von den konkreten
Menschen »gemacht«, die die Narrative oder die Machtstrukturen erzeugen,
aufrechterhalten oder eben infrage stellen oder bekämpfen.101 Dabei zeigen
sich freilich nicht nur »heroische« Intentionen
– wie die großen Erzählungen
es suggerieren würden –, sondern oft sehr persönliche, banale Aspekte, die
erst jenseits oder unterhalb der großen Meistererzählungen zum Vorschein
kommen können.
97 Alf Lüdtke, Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte?, in: Ders. (Hg.), Alltagsge-
schichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, Frank-
furt a. M. / New York 1989, S. 9–47, hier S. 20.
98 Beth Roy, Some Troubles with Cows. Making Sense of Social Conflict, Berkeley
u. a.
1994, S. 3.
99 Moritz Csáky, Die Vielfalt der Habsburgermonarchie und die nationale Frage, in:
Urs Altermatt (Hg.), Nation, Ethnizität und Staat in Mitteleuropa, Wien u. a.
1996, S. 44–64, hier S. 64.
100 Zahra, Imagined Non-Communities, S. 106.
101 Magnússon / Szijártó, What is Microhistory?, S. 5.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303