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62 Imperium, Nation und Katholizismus
gern basierenden Staatsstruktur entsprach aber Österreich diesem klassi-
schen Verständnis von Imperien nicht. Der unter den europäischen Impe-
rien feststellbaren Tendenz, sich nationalistisch, quasi-nationalstaatlich zu
entwickeln,17 widerstand die österreichische Reichshälfte infolge ihrer sup-
ranationalen Struktur, der staatsrechtlich garantierten Gleichstellung aller
Staatsbürger und der lokalen Vielfältigkeit.18 Deswegen plädiert Benno
Gammerl dafür, dass die Imperien nach ihrem Umgang mit ethnischer Hete-
rogenität unterschieden werden sollten.19 Dabei könnte die in vieler Hinsicht
einzigartige Struktur und Staatspolitik Österreichs – als Gegenmodell zu
Ungarn und den anderen Imperien Europas auch – mehr hervorgehoben
werden. Die staatsbürgerliche Gleichheit, welche durch die Staatsgrundge-
setze von 1867 (vor allem durch das »Staatsgrundgesetz über die allgemeinen
Rechte der Staatsbürger«) in Österreich garantiert wurde, ermöglichte eine
imperiale Gesellschaft.
Die Staatlichkeit wurde in Österreich nicht nationalisiert,20 Österreich
war keine Nation.21 Die österreichische Reichshälfte der Habsburgermon-
archie räumte keinem Volk eine verfassungsrechtlich verankerte Vormacht-
stellung ein,22 weil ein Volk im Sinne einer politischen Nation fehlte.23 Dem
Imperium lag nicht der Gedanke nationaler Homogenität und nationaler
Hegemonie zugrunde (wie in der ungarischen Reichshälfte). Der österrei-
chische Staat wurde daher vor allem aufgrund der dynastischen Legitimi-
tät und der formalistischen Legalität zusammengehalten. Besonders dem
Recht wurde eine sehr wichtige Legitimationsfunktion beigemessen.24 Trotz
der ethnisch-sprachlichen, religiösen und regionalen Vielfältigkeit, welche
17 Andrea Komlosy, Imperial Cohesion, Nation-Building, and Regional Integration
in the Habsburg Monarchy, in: Stefan Berger / Alexei Miller (Hg.), Nationalizing
Empires, Budapest 2015, S. 369–427, hier S. 375.
18 Zum imperialen Charakter von Österreich (aber eben im Sinne eines »Imperiums
seiner Völker«) siehe Miloš Řezník, Die Habsburgermonarchie – ein Imperium
ihrer Völker? Einführende Überlegungen zu »Österreichs Staatsidee«, in: Bernhard
Bachinger u. a. (Hg.), Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen. Nationa-
lismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900, Göttingen 2020, S. 45–66.
19 Gammerl, Untertanen, Staatsbürger und Andere, S. 336.
20 Ulrike von Hirschhausen, Citizenship in Austria-Hungary 1867–1923 between
Imperial Inclusion and National Exclusion, in: European Review of History 16
(2009), S. 551–573, hier S. 564.
21 Johannes Feichtinger, Wissenschaft als reflexives Projekt. Von Bolzano über Freud
zu Kelsen. Österreichische Wissenschaftsgeschichte 1848–1938, Bielefeld 2010, S.
40.
22 Judson, L’ Autriche-Hongrie était-elle un empire?, S. 593.
23 Peter Urbanitsch, Pluralist Myth and National Realities. The Dynastic Myth of the
Habsburg Monarchy – a Futile Exercise in the Creation of Identity?, in: Austrian
History Yearbook 35 (2004), S. 101–141, hier S. 103.
24 James Shedel, The Problem of Being Austrian. Religion, Law, and Nation from
Empire to Anschluß, in: Csáky / Zeyringer (Hg.), Pluralitäten, Religionen und kul-
turelle Codes, S. 117–129, hier S. 118ff.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303