Seite - 63 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
Bild der Seite - 63 -
Text der Seite - 63 -
63Imperium
und Nation
weder die Hegemonie eines Volkes noch eine demokratische Nationalstaat-
lichkeit ermöglicht hätte, genossen alle Staatsbürger – unbeachtet ihrer
ethnischen und religiösen Zugehörigkeit bzw. ihrer Umgangssprache – die
gleichen Rechte.25
Die österreichische Reichshälfte der Donaumonarchie nahm also in ihrem
Versuch, ein Imperium jenseits des nationalstaatlichen oder national-impe-
rialen Gedankens aufrechtzuerhalten, Ansätze eines postnationalstaatlichen
Zeitalters des Politischen vorweg.26 Der gesellschaftlichen Plurikulturalität
und der imperial-supranationalen Struktur entsprach ein formalistisch-
legalistisches Rechtsverständnis,27 das statt metajuristisch-fiktionaler und
emotional aufgeladener Kategorien wie »Volk« oder »Staat« die dynamische
Prozesshaftigkeit und die positivistische Formalität des Rechtssystems in
den Vordergrund rückte.28 Österreich war nach 1867 insofern weder ein
»typisches« Imperium noch ein Nationalstaat – sondern eine dynastisch
legitimierte, gesellschaftlich akzeptierte Rechtsordnung, die allen Staatsbür-
gern die gleichen Rechte, unbeachtet ihrer ethnischen, sprachlichen, religi-
ösen »Identitäten«, gewährte. Das Fehlen eines einheitlichen »Volkes« – und
sogar das Fehlen von einer solchen Staatsidee29 – begünstigte ein Modell,
in dem das Recht (das Gesetz) und die Administration (als Funktion) im
Mittelpunkt der staatlichen Tätigkeit stehen konnte.30 Dies erklärt die stark
25 Zu den Sprachen- und Nationalitätenrechten in der österreichischen Reichshälfte
nach 1867 siehe Gerald Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in
der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 83–248.
Die sprachliche Toleranz der österreichischen Reichshälfte erklärt Peter Haslinger
weniger mit einer postnationalen Einstellung, sondern vielmehr mit den machtpo-
litischen Interessen der Habsburger; vgl. Peter Haslinger, Sprachenpolitik, Spra-
chendynamik und imperiale Herrschaft in der Habsburgermonarchie 1740–1914, in:
Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 57 (2008), S. 81–111, hier S. 110.
26 Darüber, was – jenseits der Struktur – im kulturellen Sinne »Österreichisch« an
Österreich sein konnte, siehe u. a. Steven Beller, What is Austrian about Austrian
Culture?, in: Gertraud Diem-Wille u. a. (Hg.), Weltanschauungen des Wiener Fin
de Siècle 1900 / 2000. Festgabe für Kurt Rudolf Fischer zum achtzigsten Geburtstag,
Frankfurt a. M.
u. a. 2002, S.
25–41; bzw. die Pionierwerke über den österreichischen
Geist: Robert A. Kann, A Study in Austrian Intellectual History. From Late Baroque
to Romanticism, New York 1960; William M. Johnston, The Austrian Mind.
An Intellectual and Social History 1848–1938, Berkely 1972.
27 Johann Dvořak, Politik und Kultur der Moderne in der späten Habsburgermonar-
chie, Innsbruck / Wien 1997, S. 196f.
28 Urbanitsch, Pluralist Myth and National Realities, S. 140.
29 In den meisten europäischen Imperien der damaligen Zeit – vom Deutschen Reich
über die ungarische Reichshälfte bis hin zum Russländischen Reich – war ebenso
keine ethnische Homogenität vorhanden, aber eine solche Homogenität wurde den-
noch staatspolitisch imaginiert und (besonders in Ungarn) mit staatlichen Mitteln
angestrebt.
30 Die antiliberalen Strömungen der österreichischen Zwischenkriegszeit lehnten eben
deswegen das »habsburgische Erbe« eines nichtetatistischen, nichtvölkischen Staats-
wesens ab; siehe Eric Voegelin, Der autoritäre Staat. Versuch über das österreichische
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303