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64 Imperium, Nation und Katholizismus
legalistische Tradition des österreichischen Rechtsdenkens,31 was auch nach
1918 (eigentlich bis heute) nachwirkt.32
Die Staatsbürger in der österreichischen Reichshälfte waren nicht in einer
asymmetrischen Struktur einem imperialen Zentrum und einer einzigen
imperialen Nation unterworfen. Deswegen konnten sie sich religiös, natio-
nal, regional, lokal (usw.) unterschiedlich identifizieren und gleichzeitig Teil
der österreichisch-imperialen Gesellschaft werden.33 Sogar die »Nationali-
tätenkonflikte« zeigen die Herausbildung einer gemeinsamen, imperialen
Gesellschaft,34 in der über die gleichen Probleme mit den gleichen Mitteln
debattiert wurde. Österreich erzeugte den rechtlichen Rahmen für »Nationa-
litätenkonflikte«, insofern kann keine Rede von einem »Völkerkerker« sein.
Der österreichische Staat anerkannte – vielen anderen europäischen Staaten
im Voraus
– die nationalen und religiösen »Identitäten«
– eigentlich im Sinne
von der Charles Taylor’schen »politics of recognition«35 – als gleichwertig,
und er stattete sie mit gleichen Rechten aus.
Staatsproblem, Wien 1936, S. 2ff. Nicht zufällig sehen einige Autoren Ähnlichkeiten
zwischen der Habsburgermonarchie und der Europäischen Union. Auch wenn ein
solcher Vergleich anachronistisch ist, lassen sich Strukturähnlichkeiten – Zusam-
menhalt vieler Völker durch das Recht
– in der Tat erkennen; vgl.
u. a. Steven Beller,
What Has the Empire Ever Done for Us? The Surprising Legacies of the Habsburg
Monarchy, and the Lessons for Today’ s European Union, in: Eurozine, 3. Novem-
ber 2017, URL: <http://www.eurozine.com/what-has-the-empire-ever-done-for-us/>
(15.10.2019).
31 Manfred Baldus, Hapsburgian Multiethnicity and the »Unity of the State«. On the
Structural Setting of Kelsen’ s Legal Thought, in: Dan Diner / Michael Stolleis
(Hg.), Hans Kelsen and Carl Schmitt. A Juxtaposition, Gerlingen 1999, S. 13–23,
hier S. 18ff.; Theo Öhlinger, The Genesis of the Austrian Model of Constitutio-
nal Review of Legislation, in: Ratio Juris 16 (2003), S. 206–222, hier S. 215f.; Ewald
Wiederin, Denken vom Recht her. Über den modus austriacus in der Staatsrechts-
lehre, in: Helmut Schulze-Fielitz (Hg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft. Die
Verwaltung, in: Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften.
Beiheft 7, Berlin 2007, S. 293–317, hier S. 295ff.
32 Nicht zufällig in dieser Rechtstradition erschien die von Hans Kelsen entwickelte,
radikal-legalistische Theorie der »Reinen Rechtslehre«; vgl. Hans Kelsen, Autobio-
graphie (1947), in: Matthias Jestaedt (Hg.), Hans Kelsen Werke, Tübingen 2007,
Bd. 1, S. 29–91, hier S. 60; René Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reine
Rechtslehre, Wien 1966, S. 56; Ewald Wiederin, Der österreichische Verfassungsge-
richtshof als Schöpfung Hans Kelsens und sein Modellcharakter als eigenständiges
Verfassungsgericht, in: Thomas Simon / Johannes Kalwoda (Hg.), Schutz der Ver-
fassung. Normen, Institutionen, Höchst- und Verfassungsgerichte. Der Staat. Bei-
heft 22, Berlin 2014, S. 283–306, hier S. 286ff.
33 Judson, The Habsburg Empire, S. 3ff.
34 Gary B. Cohen, Nationalist Politics and the Dynamics of State and Civil Society
in the Habsburg Monarchy, 1867–1914, in: Central European History 40 (2007),
S. 241–278, hier S. 243ff.
35 Charles Taylor, The Politics of Recognition, in: Amy Gutmann (Hg.), Multi-
culturalism. Examining the Politics of Recognition, Princeton 1994, S. 25–73.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303