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72 Imperium, Nation und Katholizismus
somit zur Nationalisierung des katholischen Kirchenlebens bei: Entweder
weil sich die (hohe) Kirchenhierarchie, wie es der Fall in den meisten Bis-
tümern des ungarischen Staates war, der ungarischen Staats- und Nations-
idee verpflichtete,72 oder weil sich Teile des (niederen) Klerus für die natio-
nale Emanzipation katholischer Nationalitäten (wie etwa bei den Slowaken
oder den Kroaten) einsetzen mussten / wollten.73 Weil sich Budapest dabei
als nationaler Akteur positionierte, hatte die katholische Kirche in Ungarn
keine supranationale Staatlichkeit, mit der sie sich jenseits der nationalen
Polarisierungen hätte identifizieren können.
In Österreich hingegen lagen die demographischen Gegebenheiten für
einen Katholizismus als einende Idee des Imperiums vor. Die überwiegende
Mehrheit der multiethnischen Bevölkerung gehörte nationalitätsübergrei-
fend der katholischen Religion an: 1890 waren 79.3 % der Bevölkerung
römisch-katholisch,74 1900 79,0 %75 und 1910 78,85 %.76 Die römisch-katho-
lische Religion war nicht nur insgesamt die größte Konfession, sie stellte –
im Gegensatz zu Ungarn – auch fast unter allen Nationalitäten Österreichs
die größte und wichtigste Religion dar. Die deutsch-, tschechisch-, polnisch-,
italienisch-, slowenisch- und kroatischsprachigen Menschen waren mehr-
heitlich römisch-katholisch, nur die ukrainischsprachige Bevölkerung (mit
dem griechischen Katholizismus) sowie die serbischsprachige Bevölkerung
(mit der Orthodoxie) wichen von dieser Tendenz ab (Die muslimischen und
jüdischen Bevölkerungen betrachteten sich nicht als eigene Nationalitäten).
Die religiös-konfessionelle Zusammensetzung der Gesellschaft, gepaart mit
einem supranationalen Staatsgedanken, konnte die staatspolitische Aufwer-
tung eines supranationalen Katholizismus ermöglichen.
Die Habsburgermonarchie (in diesem Fall: ihre österreichische Hälfte)
war eine durch Widersprüchlichkeit und Heterogenität geprägte komplexe
Struktur, weshalb Imaginationen, die die Einheit jenseits der nationalen
72 Gábor Adriányi, Fünfzig Jahre ungarischer Kirchengeschichte 1895–1945, Mainz
1974, S. 24ff.
73 Ders., Die katholische Kirche und die Nationalitätenfrage in Ungarn im 19. und
20. Jahrhundert, in: Der Donauraum 20 (1975), S. 47–57, hier S. 49.
74 Bureau der K. K. Statistischen Central-Commission (Hg.), Die Ergebnisse der Volks-
zählung vom 31. Dezember 1890 in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen
und Ländern, 1. Heft: Die summarischen Ergebnisse der Volkszählung, Wien 1892,
S. XVII.
75 Dass. (Hg.), Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1900 in den im
Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern, 1. Heft: Die summarischen
Ergebnisse der Volkszählung, Wien 1900, S. XXXII.
76 Dass. (Hg.), Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 in den im
Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern, 1. Heft: Die summarischen
Ergebnisse der Volkszählung, Wien 1912, S. 54.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303