Seite - 76 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
Bild der Seite - 76 -
Text der Seite - 76 -
76 Imperium, Nation und Katholizismus
chenleben war von mehreren nationalen Sprachen (der italienischen, der
slowenischen und / oder der kroatischen) geprägt. Die Sprache schafft nicht
nur eine Kommunikationsgesellschaft, sondern auch Zugehörigkeitsgefühl.
Insofern konnte sie immer mehr als Vorlage für nationalistische Selbst-
verortungen und Ansprüche dienen – auch innerhalb der einen katholi-
schen Kirche.
In vielen innerkatholischen Konfliktfällen (vgl. Kapitel 3.1, 3.2, 4.1) stand
die Sprache der Predigten oder der Gottesdienste im Vordergrund. Indem
der Sprache in der ganzen Gesellschaft eine alleinige Unterscheidungsfunk-
tion beigemessen wurde,96 konnte sie die religiös-konfessionelle Zusammen-
gehörigkeit übertönen.97 Die Aufwertung der Sprache ermöglichte natio-
nalistische Ansprüche bezüglich des kirchlichen Raumes. Im Küstenland,
besonders in den mehrsprachigen Gebieten, wurde die Sprache als ethnozen-
triertes Unterscheidungsmerkmal wahrgenommen, das nicht nur ein bloßes
Kommunikations-, sondern vielmehr ein Identifikations- und Abgrenzungs-
mittel darstellen würde.98 In einer Region, wo mehrere Sprachen gleichzei-
tig benutzt wurden, führt eine solche Neubewertung der Sprache selbstver-
ständlich zu neuen Konflikten:
Unterschiedliche Sprachen, die natürlich in der Tat auch im Alltag ein besonders
auffallendes Abgrenzungskriterium darstellen, wurden ethnozentristisch als objektiv
gegebene, auf alle Lebensbereiche einwirkende Unterscheidungsmerkmale zwischen
sozialen Gruppen (Nationalitäten) definiert…99
Die sprachenbezogenen Ansprüche bedeuteten die Imagination ethnisch-
national homogener Räume.100 Statt der alten religiösen Hegemoniean-
sprüche, die sich im Motto »cuius regio, eius religio« ausdrückten, wurde
die Sprache in den jeweiligen nationalistischen Diskursen zum neuen herr-
schaftsbestimmenden Faktor (»cuius regio, eius lingua«) erhoben.101 Mit der
96 Elena Mannová / Jozef Tancer, Mehrsprachigkeit, in: Johannes Feichtinger /
Heidemarie Uhl (Hg.), Habsburg neu denken. Vielfalt und Ambivalenz in Zentral-
europa. 30 kulturwissenschaftliche Stichworte, Wien 2016, S. 133–139, hier S. 135.
97 Safran, Language, Ethnicity and Religion, S. 171ff.
98 Peter Urbanitsch, Der Ausgleich zwischen den Nationen untereinander und zwi-
schen den Nationen und dem Staat in Cisleithanien, in: Pierre Béhar / Eva Philip-
poff (Hg.), Von der Doppelmonarchie zur Europäischen Union. Österreichs Ver-
mächtnis und Erbe, Hildesheim u. a. 2011, S. 63–92, hier S. 65f.
99 Peter Stachel, Ein Staat, der an einem Sprachfehler zugrunde ging. Die »Viel-
sprachigkeit« des Habsburgerreiches und ihre Auswirkungen, in: Johannes
Feichtinger / ders. (Hg.), Das Gewebe der Kultur. Kulturwissenschaftliche Analy-
sen zur Geschichte und Identität Österreichs in der Moderne, Innsbruck u. a. 2001,
S. 11–45, hier S. 20.
100 Zum »imagined territory« siehe u. a. Haslinger, Nation und Territorium, S. 31ff.
101 Altermatt, Konfession, Nation und Rom, S. 32.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303