Seite - 78 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
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78 Imperium, Nation und Katholizismus
scheidung vom Papst Innozenz IV offiziell erlaubt.108 Mit diesem sprachen-
bezogenen Privileg wollte Rom das Vordringen der Orthodoxie in den kroa-
tisch bewohnten Gebieten Südosteuropas aufhalten.
Im oberadriatischen Raum bewährte sich diese Tradition sehr lange, aber
ab dem 18. Jahrhundert wurde sie entweder von muttersprachlichen (das
heißt kroatischen) Messen oder der wiedererstarkenden lateinischen Tradi-
tion (die freilich von den italienischsprachigen Katholiken der Region gefor-
dert wurde) verdrängt. Die altslawische Liturgie war im 19. Jahrhundert, in
der Zeit der aufkommenden Nationalismen, in vielen Kirchengemeinden, die
diese Tradition früher noch gehabt hatten, erloschen. Nach langer Vergessen-
heit wurde die altslawische Liturgiesprache im 19. Jahrhundert dennoch von
oben her neu entdeckt: Die altslawische Tradition hätte eine katholische Ein-
heit unter den Südslawen (klerikales Ziel) sowie die südslawische Nationali-
sierung der lokalen Kirchengemeinden (nationalistisches Ziel) ermöglichen
sollen.109 Insofern gewann das Thema einen stark politischen Kontext.110
Die Forderung, die altslawische Liturgiesprache in den südslawisch domi-
nierten, lokalen Kirchengemeinden wiedereinzuführen – wie es im unga-
risch-kroatischen Bistum Senj (1894), dann im österreichischen Bistum Veg-
lia / Krk (1901) in der Tat erfolgte – entsprang aber keineswegs der lokalen
Ebene. Es handelte sich um Bestrebungen der kirchlichen Obrigkeiten, das
Kirchenleben gegen lokale Partikularitäten (etwa die Praxis der vollkommen
muttersprachlichen Messe) zu vereinheitlichen oder den kirchlichen Raum
im Dienste südslawischer sozialer und nationaler Emanzipation zu beherr-
schen. Weil aber das Thema der altslawischen Liturgiesprache in der breiten
Öffentlichkeit nicht von unten her betrachtet wurde, sondern im Lichte mak-
ropolitischer Interessen, geriet die Frage in den Kontext staats- und außen-
politischer Debatten zwischen Wien, Budapest und dem Hl. Stuhl. Es ging
darum, was für eine Kirchenpolitik den unterschiedlichen (österreichisch-
supranationalen, ungarisch-nationalstaatlichen sowie katholisch-universel-
len) Interessen entspräche.111 Das Thema der altslawischen Liturgiesprache
aus dem Jahre 925 ausgesprochen wurde. Dies zeigt jedoch, dass die Sprache schon
davor im adriatischen Raum verbreitet sein sollte; vgl. Smežik, The Glagolitic or
Roman-Slavonic Liturgy, S. 41f.
108 Bukovec, Der glagolitische Usus, S. 100f.
109 Wörsdörfer, »Slawischer« und »lateinischer« Katholizismus, S. 186f.
110 Mile Bogović, Hrvatsko glagoljsko tisućljeće [Kroatisches glagolitisches Jahrtau-
send], in: Senjski zbornik 25 (1998), S. 1–140, hier S. 122f.; ders., Senjska glagoljska
baština [Glagolitisches Erbe von Senj], in: Senjski zbornik 35 (2008), S. 11–26,
hier S. 22.
111 Über das allgemeine Verhältnis des Hl.
Stuhls gegenüber den aufkommenden Nati-
onalismen und Nationalstaaten im 19. Jahrhundert siehe u. a. Schulze, Nation-
alism and the Catholic Church, S. 240.
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303