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82 Imperium, Nation und Katholizismus
teile
– ebenso befürchtete. Auf der makropolitischen Ebene vertrat Budapest
diese Befürchtungen. Ungarn wollte nicht nur den kirchlichen Obrigkeiten
die Entscheidungsmacht über die lokale Liturgiesprache zusichern, sondern
die ungarische Regierung wollte eine Kommission, welcher auch staatliche
und städtische Akteure angehört hätten, damit beauftragen, die Liturgie-
sprache vor Ort zu bestimmen.129 Die ungarische Regierung übte großen
Druck auf das gemeinsame Außenministerium in Wien aus, beim Hl. Stuhl
gegen jegliche südslawenfreundliche Linie zu intervenieren. Budapest baute
seine Reichshälfte nicht aufgrund supranationaler, katholischer Ideen aus.
Insofern sah die ungarische Regierung in einem Südslawentum, das in sei-
ner katholischen Religion und südslawischer Identität erstarken würde, eine
Gefahr für die Idee eines magyarisch dominierten Ungarn.130 Budapest
betrachtete die katholische Kirche
– wie im Kapitel
4.2.4 noch näher erörtert
wird – als Raum für die ungarische, magyarisierende Nations- und Natio-
nalitätenpolitik, die eine parallele, südslawische Nationalisierung des loka-
len Kirchenlebens nicht erdulden konnte und wollte. In der Kirchenpolitik
bekämpfte Budapest daher jegliche Zugeständnisse zugunsten nichtmagya-
rischer Nationalitäten – und dabei fand die ungarische Regierung gerade in
der italienischsprachigen Elite der Küstenstädte einen Verbündeten.
Budapest stellte die kirchliche Intention infrage, mit der altslawischen
Liturgiesprache eine katholische Einheit unter den südslawischen Völkern
herbeiführen zu können. In diesem letzten Aspekt hatte die ungarische Kri-
tik angesichts der innerkatholischen Konflikte recht, die von der altslawi-
schen Liturgiesprache verursacht wurden. Der nationalistisch eingestellte
ungarische Kultusminister, Albert von Apponyi, stellte 1907, also schon nach
dem Tod von Leo XIII, fest, dass
die Genehmigung der glagolitischen [altslawischen] Liturgie die Anziehungskraft
auf die Menschen griechisch-orientalischer Konfession, welche in Rom früher erhofft
worden war, keineswegs ausübte; [die altslawische Liturgiesprache] ist vielmehr fähig,
die Entfernung des katholischen Elementes [im Küstenland] von der Einheit der römi-
schen Kirche vorzubereiten.131
129 Bericht des österreichischen Kultusministeriums an die Statthalterei über die
Meinung des ungarischen Kultusministeriums (22. Dezember 1905), in: AST,
Luogotenenza, AP, b. 293, fasc. 4.1.5., 4136/1905.
130 Über die ablehnende Haltung der ungarischen Politik gegenüber der altslawischen
Liturgiesprache siehe u. a. Ivanišević, Die Bemühungen Josip Juraj Strossmayers
um die slawische Liturgie, S. 431ff.
131 Brief von Apponyi an den gemeinsamen Außenminister in Wien (18. Januar
1907), in: Österreichisches Staatsarchiv (weiter: ÖStA), Haus-, Hof- und Staats-
archiv (weiter: HHStA), Akten zur slawischen Liturgie, PA XI 261, Liasse Rom V/7
(weiter: Slawische Liturgie V/7), fol. 74f. [übersetzt aus dem Ungarischen von mir].
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303