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92 Österreichisches Küstenland
verwoben, weshalb kategorisierende Trennungen die istrianische Realität
nur ungenügend wiedergeben können. In der österreichischen Volkskunde
wurde der Begriff »Hybridismus« für die Beschreibung dieser komplexen –
und somit den nationalistischen Vorstellungen widersprechenden – Reali-
tät geprägt. Der Begriff nahm vieles vorweg, was in den Postcolonial Studies
gegenwärtig unter »Hybridität« behandelt wird.22
Italiener, Kroaten, Slowenen und Istro-Rumänen bewohnten die Halbin-
sel, nebst mehreren kleineren Mischgruppen. In einigen Städten (vor allem
in der militärischen Marinebasis Pola / Pula sowie der alten Burgstadt des
»habsburgischen Istriens«, Pisino / Pazin / Mitterburg) war auch die deutsche
Kultur und Sprache historisch stark verwurzelt. Die Halbinsel war sprach-
lich ebenso vielfältig: Sowohl die italienische als auch die slowenische und
kroatische Sprache hatten verschiedene Dialekte, die von den jeweiligen
Standardsprachen stark abwichen. Die italienischsprachige Bevölkerung
der westistrianischen Küstenstädte benutzte meistens eine lokale Version
des venezianischen Dialektes (dialetto istro-veneto), während die kroa-
tischsprachige Bevölkerung der ländlichen Gebiete hauptsächlich den sog.
čakawischen Dialekt und seine Dutzenden lokalen Versionen sprach. Istrien
war ein Paradies für ethnologische, sprachwissenschaftliche, anthropolo-
gische Forschungen – und dementsprechend rühmte das Prestigewerk der
Donaumonarchie, das vom Kronprinzen Rudolph initiierte »Österreich-
Ungarn in Wort und Bild« (1891), das adriatische Kronland ob seiner Vielfalt:
Istrien gehört, so klein es ist, in ethnographischer Beziehung zu den interessantesten
Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie. Bruchtheile von zwei Slawen-
und zwei Romanenstämmen bevölkern das Ländchen, wie sie die mächtige Gewalt
des Völkerstromes, der in früheren Jahrhunderten an der Halbinsel vorbeiflutete
und sich zum Theil in dieselbe ergoß, neben einander ablagerte oder durcheinander
schob.23
Diese Vielfalt wurde aber in den österreichischen Volkszählungen nicht
erfasst:24 Es durfte nur eine einzige Sprache als Umgangssprache angege-
ben werden. Damit wurden die Menschen praktisch von staatlicher Seite zu
einer Identitätswahl gezwungen,25 obgleich der österreichische K. K. Verwal-
22 Johler, »Hibridismus«, S. 2ff.
23 Anton Klodić, Slawische Sprache und Literatur, in: Die österreichisch-ungarische
Monarchie in Wort und Bild. Das Küstenland (Görz, Gradiska, Triest und Istrien),
Wien 1891, S. 231. (Das Buch ist auch als »Kronprinzenwerk« bekannt).
24 Pieter Judson, Do Multiple Languages Mean a Multicultural Society? Nationalist
»Frontiers« in Rural Austria, 1880–1918, in: Feichtinger / Cohen (Hg.), Understand-
ing Multiculturalism, S. 61–82, hier S. 68.
25 Evans, Language and State Building, S. 20.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303