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107Konflikte
um die Nationalisierung
Dass sein Verhältnis mit der Kirchengemeinde konfliktbeladen war, hing
jedoch nicht nur mit seinen politischen Ideen zusammen. Wegen seines
Lebensstils stand er nämlich in ständiger Kritik. Eine persönliche Schwäche
kam ins Spiel, die das Verhältnis zwischen dem Priester und der Gemeinde
belastete: Alkoholprobleme. Er trank zu viel: Seine Wutausbrüche gegen die
»Italiener« mögen sogar damit zusammengehangen haben. Als das Bistum
ihn für seinen Alkoholkonsum rügte, erwiderte er: »Er soll mich entlassen,
wann er will, ich werde dann Schnaps fabricieren.«85 Zum Alkoholprob-
lem gesellten sich finanzielle Unklarheiten. Don Ptašinski soll eine große
Summe Schulden bei den Kirchgängern angehäuft haben. Er wurde dabei
bezichtigt, Gelder zu veruntreuen. Er wollte etwa eine Pilgerfahrt nach Rom
organisieren und fing eine Spendenaktion an
– aber das eingesammelte Geld
soll er für persönliche Zwecke abgezweigt haben.86 Schließlich waren Don
Ptašinskis Wutpredigten gegen die »Italiener« (als »Freimaurer«) und sein
Lebensstil (besonders sein Trinken) für das Bistum nicht mehr tolerierbar. Er
wurde daher in ein anderes Dorf, Montreo / Muntrilj, versetzt. Er stand mit
der kirchlichen Obrigkeit ebenso im Konflikt, welche die nationalen Posi-
tionen und den unmoralischen Lebensstil des Pfarrers als Gefahr für den
innerkirchlichen Frieden erkannte.
Der neue Pfarradministrator in San Giovanni di Sterna / Sv. Ivan od Šterne,
Don Marek, wurde von den Menschen keineswegs positiv aufgenommen. Die
Kirchgänger lehnten zwar einige Verhaltensweisen von Don Ptašinski ab. Sie
erlebten dennoch seine Absetzung als Einmischung in ihr gewohntes Leben.
In diesem Widerstandsmoment zeigt sich, dass innerkirchliche Konflikte
stark antihierarchisch bestimmt waren. Das Bistum beklagte sich öfters über
den »Geist des Ungehorsams gegenüber der kirchlichen Autorität«, der seit
einigen Jahren unter den Katholiken von San Giovanni di Sterna / Sv. Ivan
od Šterne zu beobachten gewesen sei.87 So wie Don Ptašinski pflegte die
kleine Welt des dörflichen Mikrokosmos ein anderes Leben als es von oben
her vorgestellt und befürwortet gewesen wäre. Während viele Menschen frü-
her gegen Don Ptašinski waren, bekundeten sie plötzlich ihre Solidarität mit
dem abgesetzten Pfarradministrator. Einen hierarchischen Eingriff wollten
sie anscheinend nicht akzeptieren. Viele Kirchgänger hätten sich sogar bereit
erklärt, die Schulden von Don Ptašinski zu übernehmen – damit er doch in
der Kirchengemeinde bleiben könne.88 Solange der Konflikt zwischen Don
Ptašinski und den Kirchgängern auf der lokalen Ebene verblieb, waren viele
85 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Parenzo / Poreč (2. Mai 1897), in: Ebd.,
269 – 97 – D1.
86 Ebd.
87 Bericht des Bischofs (17. August 1898), in: Ebd., kut. 68, fasc. D1, 172 – D1 [übersetzt
aus dem Italienischen von mir].
88 Ebd.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303