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111Konflikte
um die Nationalisierung
waren 40 Menschen slowenischer und 70 Menschen kroatischer Umgangs-
sprache. In der Ortschaft gab es elf Menschen, die das Slowenische angaben,
die weiteren 1.561 Einwohner benutzten das Italienische.108
Der Konflikt war aber angeblich nicht nur von Tendenzen wie sozialer
Emanzipation oder einem nationalpolitisch inszenierten »Stadt«-»Land«-
Kampf bestimmt. Das örtlich zuständige Landes-Gendarmarie-Commando
meinte angesichts der ständigen Angriffe und Beleidigungen gegen Don
Ragusin, dass »[n]icht nur die Nationalität der Grund dieser Ausschreitun-
gen« gewesen sei.109 Der Bericht vermutete eher – wie es in San Giovanni di
Sterna / Sv. Ivan od Šterne oder Sdregna / Zrenj bereits der Fall war – per-
sönliche Querelen im Hintergrund: Einige Bewohner hätten bei dem Pfarrer
Schulden gehabt, die sie ihm nicht zurückzahlen wollten.110 Viele Kirchgän-
ger hatten also sehr profane Motive für einen Konflikt mit dem Pfarrer, aber
solche finanziellen Interessen ließen sich im nationalpolitischen Kontext
öffentlichkeitswirksamer vortragen.
Das Bistum erkannte das Problem, und es wurde ein Konkurs für einen
neuen Pfarrer ausgeschrieben. Dabei bewarben sich mehrere Personen um
den Posten. Obwohl Don Ragusin als Kirchenadministrator seine Kandida-
tur zurückgezogen hatte, lehnte der Stadtmagistrat, dem ein Mitspracherecht
zugesichert war, alle Kandidaten ab, die angeblich kroatischer Abstammung
waren.111 1902 wurde letztendlich Don Vittorio Vasselli, ein italienischspra-
chiger Priester, zum Pfarrer ernannt. Er entsprach den Vorstellungen des
nationalliberalen Stadtmagistrates, weil er die kroatischen Predigten und die
Gottesdienste in den Dörfern abschaffte. Die Bauern, die sich an die Situ-
ation unter Don Ragusin (kroatische Predigt, Gottesdienst auf dem Land)
gewöhnt hatten, griffen den neuen Pfarrer an: Nach einem Gottesdienst sei
Don Vasselli laut einem Bericht des nationalliberalen Bürgermeisters von
Bauern vor der Kirche sogar verletzt worden (der konkrete Vorgang wurde
aber nicht geschildert).112
Wie den bisher geschilderten Fällen zu entnehmen ist, bestimmten nati-
onale Zuschreibungen die wahrgenommenen Positionen und Rollen in
den Konflikten. Nationale Markierungen ermöglichten eine schematische
Erzählung. Die gleiche Person konnte allerdings dabei unterschiedlichen
»nationalen« »Gruppen« zugeordnet werden, damit er im Narrativ des »Nati-
108 Daten aus: Gemeindelexikon der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Län-
der, S. 74.
109 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commando von Buie / Buje (12.
August 1899), in:
DAP, Kapetanat Poreč, Op.Sp., kut. 63, fasc. D1, 5817 – 99 – D1.
110 Ebd.
111 Protestbrief des Bürgermeisters (podestà) (29. Mai 1902), in: Ebd., kut. 81, fasc. D1,
3863 – 02 – D1.
112 Bericht des Bürgermeisters (podestà) (21. August 1902), in: Ebd., 9718 – 02 – D1.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303