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112 Österreichisches Küstenland
onalitätenkonfliktes« als das »nationale Andere« verortet werden könne. So
einen Fall stellte etwa die Konfliktgeschichte aus Torre / Tar dar. Der Streit
zwischen Don Giuseppe Corazza (Josip Koraca) und der Kirchengemeinde
der west-istrianischen Ortschaft wurde widersprüchlich wahrgenommen.
Der Konflikt entstand auch hier um die Frage, welche Sprache während
des Gottesdienstes zu benutzen sei. Don Corazza wollte kroatischsprachige
Predigten und Gesänge einführen. Als er etwa Anfang 1898 in der Kirche
nach vorn trat und am Altar ein kroatisches Kirchenlied zu singen anfing,
antwortete ihm der Chor auf Latein. Don Corazza sah darin einen Affront
gegen seine Person und die katholische Kirche, und er beschimpfte darauf-
hin einige italienischsprachige Kirchgänger, denen er Antiklerikalismus
unterstellte.113 Die italienischsprachige Bevölkerung bezichtigte den Pfarrer
prokroatischer Voreingenommenheit: Don Corazza habe einige italienisch-
sprachige Familien in seinen kroatischsprachigen Predigten zuvor immer
wieder beleidigt. Auch die italienischsprachige, nationalistische Presse hetzte
gegen den Pfarrer, dem sie Verrat an seiner angeblich italienischen Abstam-
mung unterstellte. Das Blatt La Provincia dell´Istria bemerkte bereits 1887
bissig, dass Don Corazza – »obwohl geboren aus dem italienischen Visign-
ano [Višnjan]«
– seinen Namen ab und zu nach kroatischer Schreibweise (als
Korazza oder sogar Korača) angebe.114 In den Augen der nationalistischen
Agitatoren galt er deswegen als national indifferent, das heißt verräterisch.
Von einem angeblich italienischstämmigen Pfarrer hätten die italienisch-
sprachigen, nationalistisch eingestellten Kreise mehr nationale Exklusivität
erwartet, als ob sich ein ethnisch-sprachliches Bewusstsein nur nationalis-
tisch-antikroatisch erleben ließe. Die Bezirkshauptmannschaft stellte inso-
fern fest, dass Don Corazza »bei der italienisch gesinnten Bevölkerung von
Torre [Tar] sehr verhasst« sei.115 Was unter »italienisch gesinnt« gemeint war,
darf allerdings nicht mit italienischer Abstammung verwechselt werden:
Einerseits umfasste es diejenigen, die ihrer ethnisch-nationalen Abstam-
mung eine politische Bedeutung im Sinne nationalistischer Selbstverortung
beimaßen; andererseits bedeutete eine »italienische Gesinnung« oft Antikle-
rikalismus, weil in mehreren Quellen die nationalliberale, antiklerikale Par-
tei unter der »italienische[n] Partei« gemeint war.
Während Don Corazza in der Ortschaft Torre / Tar in nationalpolitisch
aufgeladene Querelen geriet, genoss er in den umliegenden, kleineren Dör-
fern wie etwa Fratta / Frata und Abrega / Vabriga immer noch einen hohen
Respekt.116 Im Rahmen seiner Tätigkeit als Priester besuchte er die kleineren
113 Über den konkreten Konfliktfall siehe L’ Istria, 1. Januar 1898.
114 La Provincia dell’ Istria, 1. Februar 1887 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
115 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Poreč / Parenzo [ohne Datum], in: AST,
Luogotenenza, AP, b. 223, fasc. 4.2.1., 1899/885.
116 Ebd.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303