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114 Österreichisches Küstenland
lichen Differenzen erlangten erst in ihrer Politisierung konfliktbeladene
Bedeutungen.120
Gruppenkonstruktionen waren unter anderem deswegen möglich,
weil das Verhältnis zwischen Don Corazza und der Kirchengemeinde in
Torre / Tar angespannt war – aber nicht aus nationalen Gründen. Mit seiner
Kirchengemeinde geriet der eigenbrötlerische Don Corazza nicht nur auf-
grund nationaler Differenzen in Konflikt: Nicht die Sprache, sondern das
Gesagte verursachte die Spannungen. Das innerkirchlich erlebte Hauptpro-
blem bestand darin, dass Don Corazza den Altar als Bühne für seine selt-
samen Ideen und pseudowissenschaftlichen Forschungen benutzte, was in
der Kirchengemeinde Irritationen auslöste. Im August 1897 berichtete das
italienisch-nationalistische Blatt Istria etwa darüber, wie Don Corazza in der
Kirche von Torre / Tar mal zoologische, mal politisch-ökonomische »Vor-
träge« statt wahrer Predigten gehalten habe.121 Das Bistum von Pola / Pula
und Parenzo / Poreč zeigte sich ebenso kritisch angesichts solcher Nachrich-
ten: Bischof Flapp sprach etwa von »einer unglücklichen Pfarrgemeinde«, die
in vielen Hinsichten »sehr demoralisiert« sei.122 Wegen des Priestermangels
konnte er keinen neuen Geistlichen nach Torre / Tar schicken.123
Während Don Corrazza außerhalb der Kirche wegen seiner Aktionen
zugunsten der sozialen und sprachlichen Emanzipation südslawischer,
ländlicher Bevölkerungsteile kritisch beäugt wurde, geriet er innerkirchlich
wegen seiner fragwürdigen Predigten unter Druck. In beiden Fällen war also
nicht die vermeintliche nationale Zugehörigkeit des Pfarrers entscheidend,
sondern das vertikale (inner- wie außenkirchliche) Verhältnis – einerseits
zwischen der städtischen Elite und der ländlichen Bevölkerung, andererseits
zwischen einem normabweichenden, eigensinnigen Pfarrer und der kirchli-
chen Obrigkeit.
Diese zwei »Schienen« vertikaler Konflikte ließen sich in den anderen,
geschilderten Konfliktfällen erkennen: Konkurrenz um die Deutungshoheit
über den kirchlichen Raum vor Ort bzw. normabweichende Handlungen
und kirchen-obrigkeitliche Einmischungen. Die fragmentiert und anek-
dotisch aufgezeigten Fälle in Istrien zeigen exemplarisch, wie persönliche,
Magherini (Hg.), Dall’ impero austro-ungarico alle foibe. Conflitti nell’ area alto-
adriatico [Vom österreichisch-ungarischen Reich bis zur Vertreibung. Konflikte im
oberadriatischen Raum], Torino 2009, S. 11–18, hier S. 11.
120 Vanni D’ Alessio, Istrians, Identifications and Habsburg Legacy, in: Acta Histo-
riae 14 (2006), S. 15–39, hier S. 17ff.
121 L’ Istria, 21. August 1897.
122 Brief des Bischofs (3.
November 1899), in: AST, Luogotenenza, AP, b.
223, fasc.
4.2.1.,
1899/2616 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
123 Letztendlich ersuchte Don Corazza im Sommer 1900 um seine Pensionierung; vgl.
Bericht der Statthalterei von Triest (7. August 1900), in: DAP, Kapetanat Poreč,
Op.Sp., kut. 68, fasc. 190-D1, 5846 – 00 – D1.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303