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116 Österreichisches Küstenland
Die italienischsprachige Elite fühlte sich in ihrer bisherigen Machtposition
und wirtschaftlichen Lage bedroht, weil die soziale Mobilität marginalisier-
ter Bevölkerungsteile die Konkurrenz um wirtschaftliches oder kulturelles
Kapital, also die gesellschaftlichen Ressourcen erhöhte. Diese Konkurrenz
bestimmte das ganze Küstenland, unabhängig von nationalen und räum-
lichen Markierungen: Die italienischsprachige, liberale Elite wollte den
Bauern die Aufstiegsmöglichkeiten ebenso erschweren wie den italienisch-
sprachigen Arbeitern.124 Was aber die soziale Mobilität südslawischer Bevöl-
kerungsteile anders erscheinen ließ, war ihre nationalpolitische Instrumen-
talisierbarkeit. In ihrem Fall drückten die sozio-wirtschaftlichen Positionen
auch nationale Differenzen (»Italiener«, »Südslawen«) aus.125
Auch der »Stadt«-»Land«-Gegensatz wurde national- und kirchenpolitisch
bedient, um den bestehenden politischen Konflikten eine Raumdimension zu
verleihen.126 Der ethnische Unterschied ließ sich durch angeblich sichtbare
Grenzen – wie etwa zwischen »Stadt« und »Land« – noch mehr veranschau-
lichen.127 Es stellt sich aber die Frage, ob dieser Gegensatz eine tatsächliche
räumliche Trennung widerspiegelte. Räume sind nicht bloße geographische
Entitäten, sie entstehen nämlich in gesellschaftlichen Prozessen.128 »Stadt«
und »Land« stellten dementsprechend Gegensätze vor allem auf der men-
talen Karte dar: Mental maps beschreiben die kulturellen Unterschiede, die
divergierenden Wahrnehmungen innerhalb desselben Raumes.129 Indem
etwa nationalliberale Magistrate in mehreren istrianischen Ortschaften die
kroatische Sprache – als Sprache des umliegenden, dörflichen Hinterlan-
des – von den jeweiligen Stadtkirchen fernhalten wollten, untermauerten sie
den Unterschied zwischen »Stadt« und »Land« mit angeblich eindeutigen,
nationalen Differenzen zwischen den zwei »Welten«. Die kroatische oder
slowenische Sprache in der Kirche bedeutete für sie eine Bedrohung für die
bis dahin bestandene, italienischsprachige Deutungsmacht über den städti-
124 Zu Triest, wo die Lage diesbezüglich ähnlich war, siehe Rutar, Kultur – Nation –
Milieu, S. 54ff.
125 Jože Pirjevic, Serbi, croati, sloveni. Storia di tre nazioni [Serben, Kroaten, Slowe-
nen. Geschichte von drei Nationen], Bologna 2015, S. 118.
126 Marco Bellabarba, Italiani d’ Austria tra Otto e Novecento [Österreichs Italiener
zwischen 19. und 20. Jahrhundert], in: Mazohl / Pombeni (Hg.), Minoranze negli
imperi, S. 397–439, hier S. 431.
127 Andreas Wimmer, Ethnische Grenzziehungen. Eine prozessorientierte Mehr-
ebenen
theorie, in: Marion Müller / Zifonun Dariuš (Hg.), Ethnowissen. Soziolo-
gische Beiträge zu ethnischer Differenzierung und Migration, Wiesbaden 2010,
S. 99–152, hier S. 111f.
128 Vgl. Hannes Grandits u. a., Phantomgrenzen im östlichen Europa. Eine wissen-
schaftliche Positionierung, in: Dies., Phantomgrenzen. Räume und Akteure in der
Zeit neu denken, Göttingen 2015, S. 13–56, hier S. 20.
129 Fritjhof Benjamin Schenk, Mental Maps, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002),
S. 493–514, hier S. 504.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303