Seite - 128 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
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128 Österreichisches Küstenland
manje nationalpolitische Gründe? War die Kirche im Hinterland von Triest
»slowenisch« geprägt? Anhand des Kirchenstreites von Ricmanje lassen sich
die gängigen Annahmen von einer nationalpolitisch umkämpften Kirche
sowie eines »slowenisch« und »ländlich« geprägten Katholizismus prüfen.
Ricmanje war ein kleines Dorf in der bergig-karstigen Umgebung der kos-
mopolitischen, aber politisch-kulturell von einer italienischsprachigen, libe-
ralen Elite dominierten Hafenstadt Triest.174 Nach der Volkszählung von 1900
lebten 617 Menschen in Ricmanje, von denen 616 römisch-katholisch und
davon 609 slowenischsprachig waren.175 Die Frage, ob der in der Habsbur-
germonarchie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts voranschreitende Prozess
der ethnisch-nationalen Selbstverortung als Grundlage des Kirchenstreites
in Ricmanje zu betrachten ist,176 erfährt infolge der geographischen Lage des
Dorfes eine besondere Relevanz. Ricmanje befand sich an der sprachkultu-
rellen Grenze zwischen dem slowenischsprachigen ländlichen Raum und der
italienisch dominierten, aber mehrsprachigen Hafenstadt Triest. Die politi-
sche Aufwertung der Sprachenfrage erklärt sich aus der Gleichzeitigkeit geo-
graphischer Nähe bei ethnisch-sprachlicher Ferne zu Triest.
In Triest herrschte eine nationalliberale Hegemonie über das politische
und kulturelle Leben, die allen anderen gesellschaftlichen und politischen
Gruppen die gleichberechtigte Teilhabe verwehrte. Dies betraf besonders die
slowenischsprachige Bevölkerung. Seit Mitte des 19.
Jahrhunderts wanderten
viele (meistens slowenischsprachige) Menschen aus den umliegenden, länd-
lichen Gegenden ein.177 Erst ab Ende des 19.
Jahrhunderts formierten sie sich
als eigenständige Gruppe (»Volk«) in Triest.178 Um die südslawische Präsenz
vom urbanen Raum fernzuhalten oder
– wenn diese schon im urbanen Raum
angekommen war – als »ländlich«, »fremd« zu stigmatisieren, wurde in den
nationalliberalen Diskursen eine starke Kontrastierung zwischen »Stadt«
und »Land« bedient. Der Konflikt spielte sich insofern nicht nur innerhalb
eines Dorfes wie Ricmanje ab, sondern im Kontext (im »Hintergrund«) der
»Nationalitätenkonflikte«, die das öffentliche Leben in der benachbarten
Adriametropole Triest prägten.
174 Zur Raumbeschreibung des Triestiner Hinterlandes siehe Andreas Moritsch, Das
nahe Triester Hinterland. Zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung vom
Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Wien u. a. 1969.
175 Daten aus: Gemeindelexikon der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und
Länder, S. 52.
176 Die ethnisch-nationale Selbstverortung übertönte ab der Mitte des 19.
Jahrhunderts
in den habsburgischen Gebieten immer mehr die anderen Identitäten, vgl. Clew-
ing, Staatensystem und innerstaatliches Agieren im multiethnischen Raum, S.
505f.
177 Vgl. Marina Cattaruzza, Population Dynamics and Economic Change in Trieste
and Its Hinterland 1850–1914, in: Richard Lawton / Robert Lee (Hg.), Popula-
tion and Society in Western European Port-Cities c. 1650–1939, Liverpool 2002,
S. 185–191.
178 Vgl. Cattaruzza, Sloveni e italiani a Trieste, S. 33.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303