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129Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
Der Konflikt in Ricmanje brach aber nicht wegen der Nähe zu Triest oder
der dortigen politischen Debatten aus. Streitigkeiten bestanden seit Langem
zwischen der slowenischsprachigen Pfarrei Dolina und den ihr unterstellten
Filialen wie Ricmanje. Die Zugehörigkeit zur Pfarrei Dolina war aus finan-
ziellen Gründen nachteilig für die Dorfbewohner, weil sie Geld und andere
materielle Beiträge (etwa Wein) an den dortigen Pfarrer zu zahlen hatten.179
Wie der damalige, kroatischsprachige Triestiner Bischof, Andrej Marija
Šterk, 1900 bemerkte, »[s]eit längerer Zeit macht sich eine Gärung« in den
Kaplaneien infolge der an den Pfarrer von Dolina zu entrichtenden Leistun-
gen »fühlbar«. Bischof Šterk meinte, dass die kirchenrechtliche Verselbst-
ständigung dieser Dörfer – indem etwa eigene Pfarreien für sie gegründet
würden – eine mögliche Lösung sei.180 Auch aus Prestigegründen empfand
die Dorfgemeinschaft in Ricmanje die Zugehörigkeit zu Dolina als ernied-
rigend. Ricmanje hatte eine große Kirche, die seit dem 18. Jahrhundert als
Pilgerfahrtort weit über das Tal hinaus bekannt war, über dem das Dorf lag.
Die S. Giuseppe / Sv. Jožef Kirche befand sich an einem Pilgerfahrtweg, und
sie war ein beliebtes Ziel für Pilger aus Istrien.181 Im Gegensatz dazu war die
Kirche in Dolina viel unbedeutender.
In diesem Kapitel stelle ich zuerst anhand bisher in der Forschung nicht
oder kaum beachteter staatlicher und kirchlicher Quellen sowie Zeitungs-
berichten die lange Konfliktgeschichte vor (Kapitel 3.2.2). In einem zweiten
Schritt werden die Konfliktmomente analysiert, in denen sich die Dorfbe-
wohner situativ identifizierten. Statt der Frage, welche »Identität« die Dorf-
bewohner bewegte, stellt sich vielmehr die Frage nach den konkreten Situa-
tionen, in denen sich die Dorfbewohner zu verorten hatten (Kapitel 3.2.3).
Den historischen Kontext zum Fallbeispiel bildete der damalige kirchliche
Versuch, Einheitlichkeit auf der lokalen Ebene – im Sinne einer klerikalen
Kirchenpolitik – durchzusetzen und gegen die Partikularitäten und die
normabweichenden Praxen härter vorzugehen. Im letzten Unterkapitel wird
daher dieses kirchliche Ziel erörtert (Kapitel 3.2.4).
179 Vgl. etwa den Bericht der Triestiner Statthalterei über die Lage in Ricmanje und Log
(29. November 1899), in: AST, Luogotenenza, AG, b. 791, fasc. 4.2.5, 1899/27286.
180 Brief vom Bischof Šterk an die Statthalterei (6. Februar 1900), in: AST, Luogote-
nenza, AG, b. 791, fasc. 4.2.5, 1900/4442.
181 Petra Kavrečič, Turizem v Avstrijskem primorju. Zdravilišča, kopališca in kraške
jame (1819–1914) [Tourismus im Österreichischen Küstenland. Heilbäder, Strände
und Karsthöhlen], Koper 2015, S. 35.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303