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137Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
forderte außerdem das Bistum von Triest auf, »den Gemeinden eine entspre-
chende Belehrung zu ertheilen«.209
Neben der Pfarreifrage stellte Don Požar immer mehr die Liturgiespra-
che in den Vordergrund. Die Sprachenfrage war ein Thema, mit dem die
katholischen Kirchengemeinden auch in anderen Ortschaften nationalpoli-
tisch umkämpft, beansprucht und gespalten werden konnten. Der damalige
Bischof von Triest, Andrej Marija Šterk, nahm die volkssprachlichen Messen
schweigend zur Kenntnis. Er vertrat die Meinung, dass abweichende, sogar
eigentlich illegale Praxen auf der lokalen Ebene zu erdulden seien, falls somit
Ruhe und Frieden gewährleistet werden konnten.210 Das österreichische Kul-
tusministerium rügte daher »die wenig energische Haltung« von Bischof
Šterk gegenüber den normabweichenden Tendenzen in Ricmanje.211
Im September 1901 starb Bischof Šterk. In der bischöflichen Vakanz
intensivierte Don Požar seine Tätigkeit im Interesse der altslawischen oder
slowenischsprachigen Messen. Als er vom Bistum aufgefordert wurde, zur
lateinischen Liturgiesprache zurückzukehren, drohte er für diesen Fall mit
»Unruhen und Chaos« im Dorf, wofür er keine Verantwortung übernehmen
würde.212 Als promovierter (Kirchen-)Jurist wusste Don Požar sehr wohl,
dass eine Kirchengemeinde – gemäß den diesbezüglichen Entscheidungen
des Hl. Stuhls213 – das alte Privileg der altslawischen Liturgiesprache erst
dann in Anspruch nehmen durfte, wenn dieser Usus auch in der Vergan-
genheit – mindestens seit 30 Jahren – erwiesenermaßen praktiziert wurde.
Daher war es für ihn wichtig, ein altslawisches Messbuch aus dem Jahre
1483, das sich eigentlich im Besitz der Kirche von Ricmanje befand, aus dem
bischöflichen Archiv von Triest zurückzufordern.214 Mit diesem Messbuch
glaubte er, belegen zu können, dass die altslawische Sprache in Ricmanje
seit Jahrhunderten verbreitet gewesen sei. Die Nachricht, dass Don Požar in
Ricmanje altslawische Gottesdienste lese, sprach sich in der Gegend rasch
herum. Don Požar betrieb in den umliegenden Dörfern Agitation für die
209 Das österreichische Kultusministerium übermittelt der Triestiner Statthalterei die
päpstliche Entscheidung (18. Februar 1901), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 265,
fasc. 4.1.5, 1901/393.
210 Blasina, Santa Sede, vescovi e questioni nazionali, S. 490.
211 Brief des österreichischen Kultusministers an den österreichisch-ungarischen
Außenminister (23. Dezember 1901), in: ÖStA, HHStA, Slawische Liturgie V/7.
212 Brief von Don Požar an das Bistum von Triest (7.
Januar 1902), in: ADT, GO, 1902/40
[übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
213 Nach einem Dekret aus dem Jahre 1898 wurde die altslawische Liturgiesprache nur
den konkreten Kirchen erlaubt, in denen ein seit mindestens 30 Jahren kontinuier-
licher Usus historisch belegt werden konnte. (Über die kirchlichen Dekrete bezüg-
lich der Verwendbarkeit der altslawischen Liturgiesprache siehe Gottsmann, Rom
und die nationalen Katholizismen, S. 58ff.).
214 Brief von Don Požar an das Bistum über den Erhalt des Messbuches (16. Dezember
1901), in: ADT, GO, 1901/3806.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303