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146 Österreichisches Küstenland
chen aus seinem Bistum nach Ricmanje schicken zu können.260 Er erkannte,
dass die Übernahme der Kirchengemeinde das interkonfessionelle Verhält-
nis zwischen Katholizismus und Orthodoxie belasten bzw. den Interessen
von Wien entgegenlaufen würde.
Im Frühjahr 1903 meldeten daraufhin mehrere Dorfbewohner aus Ric-
manje und Log ihre Austritte aus der römisch-katholischen Kirche wieder
an. Fast alle rechtfertigten diesmal ihren Schritt mit dem Wunsch, Gottes-
dienste in der eigenen Muttersprache hören zu wollen. Die Sprachenfrage
übertönte immer mehr den Konflikt. Wie etwa die Dorfbewohnerin Marija
Žuljan sagte: »Ich will den eigenen Gott in der eigenen Sprache anbeten«.261
Jože Dariž drückte sich auf die Frage, warum er übertreten will, einfacher
aus: »Ich will meine Muttersprache«.262 Außer der verwendeten Sprache
erkannten die Dorfbewohner aber weiterhin keinen Unterschied zwischen
den Riten des Katholizismus bzw. zwischen dem Katholizismus und der
Orthodoxie, weil der Gott
– wie etwa Uršula Pregarc aus Ricmanje betonte
–
»der selbe« sei: »Wir sind dieselben, die wir zuvor waren; wir glauben an den
selben Gott, an den wir davor geglaubt hatten. Lateinisch können wir nicht,
wir wollen slowenische Messe.«263
Die Ablehnung gegenüber der institutionalisierten Kirche zeigte sich etwa
darin, dass ab März 1903 Begräbnisse ohne priesterliche Assistenz stattfan-
den (siehe Abbildung
6). Die Menschen riefen Don Krančič, den neuen Kap-
lan, weder zu den Taufen noch den Begräbnissen, die daher »zivil« erledigt
wurden. Ähnliche Fälle traten in einem anderen Kirchenstreit zwischen 1908
und 1910 in Drenova auf der ungarischen Seite (Kapitel
4.2) auf. Das Landes-
Gendarmarie-Commando beschrieb ein solches Begräbnis am 25.
März 1903
ziemlich detailliert: An der Spitze des Leichenzuges marschierten ein alter
Mann und ein Junge mit je einem großen Holzkreuz, ihnen folgten die Gäste
aus der ganzen Gegend (ca. 1600 Menschen) und eine slowenische Musikka-
pelle. Beim Grab hielt der Dorfvorsteher Ivan Berdon eine Rede, und danach
warf er dreimal Erde auf den Sarg. Er benahm sich wie ein Geistlicher, er
war sogar priestermäßig angekleidet. Den Gästen aus den anderen, umlie-
genden Ortschaften soll das »zivile« Begräbnis so gut gefallen haben, dass
sie es daheim einführen würden.264 In Ricmanje verbreitete sich diese Pra-
260 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Zara / Zadar an die Triestiner Statthal-
terei (2. April 1903), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 265, fasc. 4.1.5, 1903/753.
261 Protokoll über den Austritt von Marija Žuljan (29. Januar 1903), in: AST, C.d.
Capodistria, Culto, b. 170, fol. 70 [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
262 Protokoll über den Austritt von Jože Dariž (3. Februar 1903), in: Ebd., fol. 69 [über-
setzt aus dem Slowenischen von mir].
263 Protokoll über den Austritt von Ursula Pregerc (24. März 1903), in: Ebd., fol. 678
[übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
264 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Boljunec an die Bezirkshaupt-
mannschaft von Capodistria / Koper (26. März 1903), in: AST, Luogotenenza, AP,
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303