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159Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
Bezüglich der Liturgiesprache stellte das österreichische Kultusministe-
rium fest, dass es sich um eine innerkirchliche Angelegenheit handele: In
diesem Sinne wurde Ricmanje »prinzipiell als zum lateinischen Ritus gehö-
rig« anerkannt, in dem die Sprache der Liturgie gemäß den Vorschriften
des Hl. Stuhls festzustellen sei.322 Das Bistum stimmte diesbezüglich schon
vorher den Vorschlägen von Matija Laginja zu, nach denen »in der Pfarrkir-
che von Ricmanje die lateinische als liturgische Sprache zu gelten hat«, auch
wenn die slawische Sprache ebenso seinen Platz in der Liturgie haben dür-
fe.323 Der Hl. Stuhl verfolgte nicht mehr wie noch unter Leo XIII eine süd-
slawophile Linie, sondern setzte immer mehr das fast ausnahmslose Primat
des lateinischen Usus durch.324 Wien erkannte aber die heikle Situation im
Bistum von Triest, wo sich ein innerkatholischer Frieden
– wie es der Fall von
Ricmanje bewies – nicht mit einem strikten Verbot, sondern nur mit einem
geduldigeren Vorgehen aufrechterhalten ließ. Daher bat der österreichische
Kultusminister – auch hinsichtlich des Kompromisses von Ricmanje – den
Hl. Stuhl und das Triestiner Bistum um »die Notwendigkeit eines vorsichti-
gen Vorgehens«.325
Bischof Nagl wechselte zum 1. Januar 1910 als Koadjutor des Erzbischofs
nach Wien.326 Ein Jahr lang konnten sich Wien und der Hl. Stuhl auf kei-
nen neuen Bischof verständigen; auch die heikle Nationalitätsfrage musste
in Betracht gezogen werden. Wien und der Hl. Stuhl unterstützten eher
einen südslawischen Kandidaten.327 Der neue, slowenischsprachige Bischof,
Andrej Karlin, trat seine Stelle in der Adriametropole im
Februar 1911 an. Er
folgte nicht der aktiven, klerikal-politischen Linie seines Vorgängers. Bischof
Karlin wollte die Kirche nicht mehr als klerikale Akteurin im öffentlichen,
politischen Leben positionieren. Er begnügte sich damit, sich auf das religi-
öse, pastorale Leben, das heißt die Förderung der religiösen Frömmigkeit, zu
konzentrieren, und lehnte infolgedessen jegliche politischen Aktionen ab.328
Ab dem Frühjahr 1909 war Ricmanje – diesmal auch kirchenrechtlich
vollständig – eine eigene Pfarrei. Es stellte sich nunmehr die Frage, wer als
Pfarrer in das rebellische Dorf gehen sollte. Don Ukmar wäre gern in das
322 Regelung der Pfarrverhältnisse in Ricmanje (5. Mai 1909), in: ÖStA, AVA, KK, 455,
R, 455.3, 42: Ri.
323 Brief von Dr. Laginja an den Bischof von Triest (23.
Juli 1908), in: ADT, GP, 1908/54.
324 Über das Dekret von 1906, mit dem der Usus der altslawischen Liturgiesprache
praktisch eingedämmt wurde, siehe u. a. Gottsmann, Rom und die nationalen
Katholizismen, S. 73ff.
325 Brief des österreichischen Kultusministers an die Triestiner Statthalterei (21. März
1910), in: AST, Luogotenenza, AP ris., b. 6, fasc. 34, 1910/6.
326 Mitteilung des österreichischen Kultusministers an die Triestiner Statthalterei
(3. Januar 1910), in: Ebd.
327 Brief des österreichischen Kultusministers an die Triestiner Statthalterei (30.
Okto-
ber 1910), in: Ebd.
328 Valdevit, Chiesa e lotte nazionali, S. 239f.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303