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160 Österreichisches Küstenland
Dorf zurückgekehrt, die Dorfbewohner stimmten jedoch für einen ande-
ren Kandidaten, einen gewissen Frančišek Jedrejčič.329 Er blieb nach sei-
ner Ernennung im Februar 1910330 nur kurz im Dorf. Im September 1910
wurde Ivan Zega zum neuen Pfarrer ernannt.331 Mit ihm zeigte sich die
slowenischsprachige, nationalistische Presse zufrieden: Die nationallibe-
rale Edinost sprach im Winter 1910 sogar davon, dass Don Zega im Dorf
»Wunder« bewirkt habe.332 Damit waren neue Kommunionen und Taufen
gemeint. Am 20. November 1910 fand eine große Kirchenfeier mit Gottes-
dienst in Ricmanje statt, wo 46 Menschen – als Zeichen der Aussöhnung
zwischen dem Dorf und der römisch-katholischen Kirche – vom Erzbischof
aus Görz, Frančišek Borgia Sedej, getauft wurden.333 Auf einmal schien der
zehnjährige Konflikt beendet zu sein – zumindest für die große Politik und
die kirchliche wie imperiale Öffentlichkeit.
Über Pfarrer Zega, der im Herbst 1910 die neu gegründete Dorfpfarrei
übernommen hatte, wurde später berichtet, dass er seit dem Frühjahr 1912 zur
lateinischen Liturgiesprache zurückgekehrt sei. Im April 1912 kam es daher
erneut zu einem direkten Konflikt mit der Kirchengemeinde: In einer Messe,
die Don Zega in lateinischer Sprache sang, antwortete ihm der Chor in slo-
wenischer Sprache. Nachdem der Pfarrer daraufhin als Rache stille Messen
eingeführt hatte, besuchten viele Dorfbewohner die Kirche nicht mehr.334
Im Februar 1915 räumte Bischof Karlin ein, dass »die Hartnäckigkeit« der
Dorfbewohner keinesfalls nachgelassen habe.335 Das Dorf lehnte auch den
nächsten Pfarrer, Don Križman, ab, der auf Don Zega folgte. Gleichzeitig
entstand ein Konflikt zwischen dem alten Pfarrer Don Zega und dem Bis-
tum. Don Zega war mit seiner Absetzung nicht einverstanden, und hetzte
daher das Dorf gegen das Bistum auf. Dabei unterstützte ihn der örtliche
Pfarradministrator, der wegen der bischöflichen Kritik »über seine Lebens-
weise punkto Trinkens« beleidigt und aufgebracht gewesen sei.336 Neben der
Liturgiesprache sorgten die moralischen Predigten des neuen Pfarrers, Don
Križman, für Empörung im Dorf. Die Moralvorstellungen von Don Križman
entsprachen keinesfalls der gelebten Lebensweise der Dorfbewohner. Nach
einer Predigt, in welcher der Pfarrer die Frauen von Ricmanje wegen ihrer zu
329 Simčič, Jakob Ukmar, S. 53.
330 Zur Ernennung siehe Slovenec, 19. Februar 1910.
331 Edinost, 17. September 1910.
332 Ebd., 18. November 1910 [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
333 Slovenski Narod, 22. November 1910.
334 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Boljunec (26. Mai 1912), in:
AST, Luogotenenza, AP, b. 370, fasc. 19b, 1912/1076.
335 Brief des Bischofs (26. Februar 1915), in: AST, C.d. Capodistria, Culto, b. 170,
1915/4430 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
336 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Capodistria / Koper an den Bischof Karlin
(13. März 1915), in: ADT, GP, 1915/18.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303