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179Konflikte
im Bistum Senj
nale Bewusstsein der kroatischsprachigen, katholischen Einwohner stärken:
Nationalisierung und Klerikalisierung (im Sinne von Vereinheitlichung der
kirchlichen Praxen) zeichneten sich dabei als Intentionen ab.28 Diese Ent-
scheidung betraf auch den lokalen Klerus, von dem viele das glagolitische
Alphabet kaum beherrschten.29 Bischof Posilović räumte in seinem Hirten-
brief im April 1894 ein, dass die altslawische Sprache zuerst zu erlernen sei,
weil die glagolitische Schrift »nicht einfach […] und nicht schnell« gelesen
werden könne.30 Er wies darauf hin, dass das Kirchenvolk auf diese Umstel-
lung – das heißt auf die Umstellung von der bisherigen volkssprachlichen
oder lateinischen Praxis auf die Einführung der altslawischen Liturgiespra-
che
– gut vorbereitet sein solle. Er befürchtete sogar, dass es zu Unruhen und
Aufständen unter dem Volk kommen könne, falls die Gottesdienste in einer
ähnlichen Sprache gelesen werden würden, die das Volk bisher nur in der
serbisch-orthodoxen Kirche hören konnte.31
Das Gebiet, wo die altslawische Liturgiesprache eingeführt wurde, war
vom Erlebnis konfessioneller Unterschiede sowie von der Erinnerung osma-
nischer Fremdherrschaft und militärischer Tugenden geprägt. Große Teile
des Bistums Senj gehörten bis 1881 zur sog. Militärgrenze (Vojna Krajina).
Die Militärgrenze wurde ab dem 16. Jahrhundert als Puffer- und Abwehr-
zone gegen das Osmanische Reich in kroatischen und slawonischen Gebie-
ten, mit serbischen, kroatischen oder valachischen Kämpfern unterschied-
licher Privilegien (besonders für die vlachische Bevölkerung32), errichtet.
Die »Grenzer« – die Bewohner dieser Gebiete – fühlten sich gegenüber den
Bewohnern der zivil verwalteten Gebiete überlegen, die über keine Privilegien
28 Bischof Posilović galt übrigens in der kroatischen Kirchenhierarchie – etwa im
Gegensatz zu Strossmayers Kreisen – eher als ungarnfreundlich, weil er im »Paz-
maneum«, dem ungarischen Priesterseminar in Wien studiert hatte; vgl. ders.,
Senjsko-modruška ili krbavska biskupije. Izvješća biskupa svetoj stolici (1602–1919)
[Bistum von Senj-Modruš oder Krbava. Berichte des Bistums an den Hl.
Stuhl (1602–
1919)], Zagreb 2003, S. 79f.
29 Die altslawische Liturgiesprache war der serbischen sehr ähnlich, in den orthodoxen
Kirchen wurden also die Messen praktisch in dieser altslawischen Sprache gelesen.
Der wesentliche Unterschied bestand in der Schrift: Die altslawischen, katholischen
Messbücher wurden mit dem glagolitischen Alphabet geschrieben, das nicht mit der
kyrillischen Schrift der serbischen Orthodoxen zu verwechseln ist.
30 Hirtenbrief vom Bischof Jurij Posilović, in: Katolički List, 26. April 1894 [übersetzt
aus dem Kroatischen von mir].
31 Opreze pri uvadjanju staroslavenske liturgije [Vorsichtsmaßnahmen für die Einfüh-
rung der altslawischen Liturgie], 6. Juni 1894, in: Okružnice biskupskoga Ordinari-
jata senjskoga i modruškoga ili krbavskoga [Rundschreiben des bischöflichen Ordi-
nariates von Senj und Modrus / Modruš oder Krbava], Senj 1892–1897, S. 16.
32 Zu den Privilegien der Vlachen siehe u. a. Ekkehard Völkl, Militärgrenze und
»Statuta Vlachorum«, in: Gerhard Ernst (Hg.), Die österreichische Militärgrenze.
Geschichte und Auswirkungen, Regensburg 1982, S. 9–24.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303