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187Konflikte
im Bistum Senj
Einwohnern verhasst« sei.65 Stimmt aber ein so pauschalisierendes Urteil
über ein ganzes Dorf? Die Frage, wie die Bewohner die altslawische Litur-
giesprache aufnehmen sollten, spaltete die lokale Gemeinde in Kriviput. Don
Modrčin meinte etwa, dass viele Menschen die altslawische Liturgiesprache
akzeptiert hätten,66 aber einige Wortführer, die in den priesterlichen Briefen
oder polizeilichen Berichten immer namentlich erwähnt wurden, bestimm-
ten im Dorf die Ereignisse: Die Menschen seien laut einem Bericht des nati-
onal-oppositionellen Blattes Hrvatska gegeneinander aufgehetzt worden. Ein
Bauer, der sich für Don Modrčin Partei zu ergreifen traute, sei von anderen
Bauern auf der Straße angespuckt worden.67
Nur mit örtlich bedingtem, persönlichem Hass lässt sich der Widerstand
in Kriviput aber nicht erklären. Das dortige Ereignis blieb keinesfalls ein
Einzelfall. Aus einem weiteren Dorf, Krasno, meldete der dortige Pfarrer
noch im Juni 1894, dass mehrere Menschen mit Drohungen und Gewalt auf
die altslawische Liturgiesprache reagiert hätten. Ein alter Mann riet dem
Pfarrer davon ab, das neue, altslawische Messbuch weiterhin am Altar lie-
gen zu lassen, weil die Menschen es als Provokation wahrgenommen hätten.
Als der Pfarrer am 10. Juni 1894 die Messe in altslawischer Sprache zu lesen
begann, riefen viele »Raus! Raus!« und verließen die Kirche.68 Wie der Pries-
ter schrieb: »Die Menschen schrien und machten Lärm«.69 Vor der Kirche
eskalierte die Situation. Einige Kirchenbesucher attackierten einen Mitarbei-
ter des Pfarramtes. Nachdem der Pfarrer das Kirchentor zugesperrt hatte,
bewarfen sie es mit Steinen. Der Pfarrer bat die Gendarmarie um Hilfe, um
»den größten Skandal« zu vermeiden.70 Das Steinewerfen hatte keine bibli-
sche oder theologische Konnotation
– es war eine übliche Gewaltform in der
Region, wie sie auch im österreichischen Istrien zu sehen war (3.1.). Gerade in
der steinigen Gegend von Lika-Krbava, den karstigen, hohen Gebirgen von
Velebit, boten sich die Steine als »Waffen« an.
Die Angst vor einer Orthodoxisierung sprach sich in der Gegend rasch
herum. Die serbisch-orthodoxe Bevölkerung schürte die Befürchtungen
der Katholiken ebenso. In Kriviput berichteten die katholischen Einwohner
darüber, dass einige Orthodoxe aus der Gegend sie wegen der altslawischen
Liturgiesprache ausgelacht hätten. Die Orthodoxen hätten etwa behaup-
65 Bericht der Gespanschaftsverwaltung (županijska oblast) von Gospić an das Bistum
Senj (10. Juni 1894), in: Ebd., broj 695 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
66 Bericht der Bezirksverwaltung (kotarska oblast) von Senj über die Mitteilung des
Pfarrers von Kriviput (25. Mai 1894), in: Ebd., broj 2818.
67 Hrvatska, 30. Mai 1894.
68 Bericht der Bezirksverwaltung (kotarska oblast) von Senj (15. Juni 1894), in: HDA,
ZV, Pr., kut. 487, 1962/1894, broj 3080 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
69 Ebd. [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
70 Bericht der Bezirksverwaltung (kotarska oblast) von Senj (15. Juni 1894), in: Ebd.
[übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303