Seite - 202 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
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202 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
kroatisch-nationalistischen Öffentlichkeit. Ein Teil der kroatisch-nationalis-
tischen Opposition im Küstenland neigte sogar zur Idee, die Orthodoxie als
»nationale Religion« aller Südslawen zu akzeptieren. Sie erkannten den mög-
lichen Widerspruch zwischen dem supranationalen Katholizismus und der
Nationalisierung des katholischen Kirchenlebens. Nach einem Bericht des
national-oppositionellen Blattes Obzor erwogen national-kroatische Kreise
um den Fiumaner kroatischsprachigen Politiker Erazmo Barčić bereits 1889,
in die (serbische) Orthodoxie überzutreten, weil ihnen die katholische Kir-
che nicht südslawisch genug vorkam.134 Sie zogen der katholischen Religion
die per definitionem südslawisch-national konzipierte (serbische) Orthodo-
xie vor. Auch in der österreichischen Hälfte erwogen nationalistisch ein-
gestellte, kroatisch- oder slowenischsprachige Personen, in die Orthodoxie
überzutreten,135 und die dortige slowenisch-nationalistische Presse betrieb
Agitation für einen Übertritt.136 Einige slowenisch- oder kroatischspra-
chige, nationalistische Kreise verstanden die »Kroaten« (mitunter auch die
»Slowenen«) und die »Serben« als Teil einer zu schaffenden jugoslawischen
Nation. In der katholischen Kirche war diese Einstellung besonders um
Bischof Strossmayer anzutreffen.137 Ihm wurde sogar eine gewisse Vorliebe
für die (serbische) Orthodoxie nachgesagt.138 Theoretisch hätte die serbi-
sche Orthodoxie der kirchenpolitischen und religiösen Untermauerung des
134 Der Bericht von Obzor zitiert in Vaterland, 3. August 1889.
135 Polizeibericht über einige slowenische Familien in Triest, die einen Übertritt erwä-
gen würden (5. September 1893), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 161, fasc. 4.1.5,
1630/1893.
136 Bericht des slowenischsprachigen Bischofs von Triest, Ivan Nepomuk Glavina
darüber (31. Oktober 1893), in: Ebd., 1957/1893.
137 Über die jugoslawischen Ideen von Strossmayer und seinem »Ideologen«, Franjo
Rački siehe u. a. Egidio Ivetic, Jugoslavia sognata. Lo jugoslavismo delle origini
[Das erträumte Jugoslawien. Der Jugoslawismus seit seinen Ursprüngen], Milano
2012, S. 119ff. (Strossmayer sprach aber der kroatischen Sprache und Kultur die
Führungsrolle im Jugoslawismus zu – ähnlich dazu, wie er die kirchliche Verei-
nigung auf Basis der katholischen Religion forderte –, was dem Serbokroatismus
und besonders der Expansions- und Kulturpolitik von Belgrad sowie der serbisch-
orthodoxen Kirche vollkommen entgegenlief; vgl. dazu Auburger, Grundzüge der
kroatischen und südslawischen Kulturpolitik, S. 35.
138 Klaus Buchenau, Svetosavlje und Pravoslavlje. Nationales und Universales in der
serbischen Orthodoxie, in: Schulze Wessel (Hg.), Nationalisierung der Religion
und Sakralisierung der Nation, S. 203–232, hier S. 208. (Strossmayer stellte aber
fest, dass die serbische Seite die Annäherungsversuche feindselig beäugte, und auch
wenn Strossmayer die serbische Kultur weiterhin unterstützte, musste er nüchtern
zugeben, dass Serbien und die serbisch-orthodoxe Kirche eigentlich andere Ziele
verfolgten als eine jugoslawische und katholische Vereinheitlichung aller Südsla-
wen, die er anstrebte; zu Strossmayers zwiespältigem Verhältnis zum Serbentum
siehe
u. a. Auburger, Grundzüge der kroatischen und südslawischen Kulturpolitik,
S. 39ff.).
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303