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204 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
slawische (glagolitische) Liturgiesprache darf zwar nicht – im Sinne von
Eric Hobsbawm140 – als »erfundene Tradition« betrachtet werden, weil sie
in der Vergangenheit tatsächlich praktiziert worden war.141 Ihre Wiederein-
führung in den kroatisch bewohnten Teilen des oberadriatischen Raumes
stellte aber eine künstliche, von oben her angeordnete Wiederbelebung einer
vielerorts schon vergessenen und von der lokalen Ebene nicht erwünschten
Praxis dar. In vielen Ortschaften hatte die Volkssprache im Alltag längst die
altslawische Liturgiesprache ersetzt oder zumindest ergänzt.142 Im kirchli-
chen Bereich etablierte sich
– wie Predrag Bukovec schreibt
– »eine faktische
Dreisprachigkeit«: Neben der altslawischen und der rein lateinischen Messe
gab es Messen, in denen der Priester sein Brevier lateinisch betete, aber die
Sakramente in kroatischer Sprache verteilte.143 Bereits 1495 wurde ein Mess-
buch zu dieser volkssprachlichen Variation in Venedig gedruckt, welches
in Fiume / Rijeka 1889 nochmals verlegt wurde.144 1634 wurde die Verwen-
dung der aus dem lateinischen Messbuch wortwörtlich übertragenen volks-
sprachlichen Messen erlaubt, die somit ein Usus innerhalb des lateinischen
Ritus darstellten.145 Eine Messe, wo alles volkssprachlich gebetet wurde, war
jedoch nicht zugelassen.146
Auch wenn der Hl. Stuhl die volkssprachliche Praxis zurückdrängen
wollte, beäugte er kritisch und skeptisch die Entscheidung von Bischof
Posilović, sie 1894 per Dekret mit der altslawischen Liturgiesprache in allen
Kirchen des Bistums zu ersetzen. Die Ritenkongregation des Hl. Stuhles
erlaubte mit einer Entscheidung von 1892 die altslawische Liturgiesprache
als kirchenbezogenes Privileg: Nur in den Kirchen hätten die Priester die
140 Eric Hobsbawm, Inventing Traditions, in: Ders. / Terence Ranger, The Invention
of Tradition, Cambridge 1992, S. 1–14.
141 Die altslawische sowie kroatischsprachige Liturgie bestimmte das Kirchenleben im
Bistum Senj vor dem 19. Jahrhundert; vgl. Orešković, Un diocèse des Alpes Dina-
riques, S. 188.
142 Okey, Austro-Hungarian Diplomacy and the Campaign for a Slavonic Liturgy,
S. 274.
143 Bukovec, Der glagolitische Usus, S. 104f.
144 Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizismen, S. 40f.
145 Bukovec, Der glagolitische Usus, S. 104.
146 Es ist immerhin bemerkenswert, dass ein generelles Verbot volkssprachlicher Mes-
sen in der katholischen Kirche infolge des Privilegiums westkroatischer, dalmati-
nischer Pfarreien, die Messen in altslawischer oder (teilweise) kroatischer Sprache
lesen zu dürfen, nie explizit und kategorisch festgelegt werden konnte, was kirchen-
rechtlich die spätere, während des Zweiten Vatikanischen Konzils erfolgte Öffnung
der katholischen Kirche hin zur volkssprachlichen Liturgie ermöglichte; vgl. ders.,
S.
103. (Es war der damalige Bischof von Senj, der das Konzil von Trient im 16.
Jahr-
hundert auf das bestehende Privileg der altslawischen Liturgiesprache, insofern
auf die Unmöglichkeit eines generellen Verbotes der nichtlateinischen Messen auf-
merksam machte, vgl. Smežik, The Glagolitic or Roman-Slavonic Liturgy, S. 113).
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303