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205Konflikte
im Bistum Senj
Gottesdienste altslawisch lesen dürfen, in denen es in der Vergangenheit
als Privileg praktiziert wurde. Diese Entscheidung richtete sich einerseits
gegen eine generelle Einführung der altslawischen Liturgiesprache, ande-
rerseits gegen die Meinung, dass das Privileg personenbezogen sei und dass
ein »altslawischer Priester« deswegen in allen Kirchen die Messe altslawisch
lesen dürfe.147
Warum löste die altslawische Liturgiesprache gerade unter den Kroaten
in Lika-Krbava einen reaktiven Widerstand aus – und nicht etwa unter den
istrianischen Kroaten? Milo Bogović erblickt darin einen Beweis dafür, dass
die altslawische Liturgiesprache in den zwei Hälften einen unterschiedlichen
Stellenwert gehabt habe. In Istrien waren die Kirchengemeinden ethnisch-
national heterogen, insofern hätte sich die altslawische Liturgiesprache als
Möglichkeit für die kroatisch- oder slowenischsprachigen Katholiken ange-
boten, sich dadurch innerhalb der eigenen katholischen Kirchengemeinde
behaupten zu können. Mit der Forderung nach altslawischen Gottesdiensten
konnte die Latinität herausgefordert werden. In Lika-Krbava, wo der Unter-
schied zwischen Kroaten und Serben nicht in der Sprache, sondern in der
Konfession bestand, habe die altslawische Liturgiesprache aber – wie Mile
Bogović schreibt
– eine andere Bedeutung gehabt: die Gefahr der Orthodoxi-
sierung / Serbisierung der kroatischsprachigen Katholiken. Der Aufstand
der kroatischsprachigen Katholiken in Lika-Krbava gegen die altslawische
Liturgiesprache ließe sich daher – Bogović zufolge – aus derselben natio-
nalen / nationalistischen Selbstverortung wie der (angebliche) Kampf der
ebenso kroatischsprachigen Katholiken in Istrien für dieselbe Liturgiespra-
che erklären. Angesichts der unterschiedlichen Differenzierungsangebote
(mal sprachlich gegen die »Italiener«, mal konfessionell gegen die »Serben«)
habe demnach die altslawische Liturgiesprache unterschiedliche Reaktionen
auf der lokalen Ebene hervorgerufen.148
Bogović weist dabei richtigerweise darauf hin, dass die lokale Ebene
– wie
gezeigt wurde
– nicht national indifferent war und die lokale Wahrnehmung
der altslawischen Liturgiesprache dementsprechend neu gedacht, erforscht
werden müsse. Es ist aber pauschalisierend zu behaupten, dass sich die kro-
atisch- oder slowenischsprachige Bevölkerung in Istrien die altslawische
Liturgiesprache den nationalistischen Ideen entsprechend gewünscht habe.
In beiden Teilen des Küstenlandes ging es letztendlich darum, die Gottes-
dienste zu verstehen. In den ethnisch-sprachlich heterogenen Kirchenge-
meinden führte dieser Wunsch zu innerkatholischen Kollisionen (vgl. Kapi-
147 Über das Dekret von 1892 siehe u. a. Gottsmann, Rom und die nationalen Katho-
lizismen, S. 58ff. (Das Dekret war aber voll von inneren Widersprüchen, welche
verschiedene, sehr weit gefasste Interpretationsräume eröffneten).
148 Bogović, Hrvatsko glagoljsko tisućljeće, S. 128ff.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303