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214 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
Tätigkeit ausübten, sondern vielmehr einer mehrheitlich analphabetischen,
südslawischen Bevölkerung das Lesen und Schreiben beibringen wollten –
freilich in kroatischer oder slowenischer Sprache –, empfand die italienisch-
sprachige, liberale Elite das als eine national- wie auch sozial-politische Pro-
vokation. Die kroatischsprachige Tageszeitung Riječki Novi List rechtfertigte
die Pläne eines »Lesekreises« hingegen mit der (vor allem in kultureller Hin-
sicht) »verlassenen« Situation der Drenovaer: Sie seien »ein sehr verlassenes
Volk« gewesen, die »seit Jahren nicht einmal ein Krümelchen vom reichen
Tisch der Hochkultur« abbekommen hätten.175 Pavel Zigar soll sich jedoch
als Kirchenadministrator in Drenova diesen Gründungsplänen eines »Lese-
kreises« widersetzt haben, woraufhin er vom Bistum Senj seines Kirchenam-
tes im Sommer 1908 enthoben und in das kroatische Küstendorf Ledenice
versetzt wurde.
Zumindest nach der Erzählung des autonomistischen Bürgermeisters
(podestà) von Fiume / Rijeka, Francesco Vio, fing damit der Konflikt in der
Untergemeinde an. Dieser Erklärung schlossen sich die Presse- und Gouver-
neursberichte vorbehaltlos an:
Und weil der Geistliche Don Paolo Zigar für seine Pflicht als guter Priester und guter
Fiumaner erachtete, sich in diese Machenschaften [die Gründung eines kroatischen
Lesekreises – P. T.] nicht einzumischen, und weil er hingegen die Einheit unter den
Menschen und die Liebe gegenüber der Stadt Fiume [Rijeka] und ihrer Union mit
Ungarn verkündete, bekam er an einem schönen Tag eine Anordnung vom Bischof
aus Zengg [Senj], die ihn in ein kleines Dorf in Kroatien versetzte.176
Die Behauptung, dass Don Zigar wegen seiner vermeintlichen Weigerung, bei
der Gründung einer Čitaonica mitzuhelfen, entlassen worden sei, sollte aber
infrage gestellt werden. Denn auch, wenn im italienischsprachigen, national-
liberalen Diskurs ein kausaler Zusammenhang zwischen den Gründungs-
versuchen eines »Lesekreises« und der Absetzung von Don Zigar hergestellt
wurde, war die Absetzung schon zuvor erwogen worden. Bereits im Herbst
1907 unternahm das Bistum Senj Maßnahmen, um Don Zigar aus dem Dorf
zu entfernen. Damals gab Bischof Maurović den Protesten aus der Stadt und
u Puli u drugoj polovici 19. i prvoj polovici 20. stoljeća [Lesekultur und nationale
Bewegungen. Lesegesellschaft und Bibliothek in Pula in dem späten 19. und frühen
20. Jahrhundert], Pula 2003.
175 Riječki Novi List, 20. Februar 1909 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
176 Brief des Bürgermeisters Dr. Vio an den ungarischen Ministerpräsidenten Sándor
Wekerle (31. August 1908), in: MNL OL, ME, FÜ K26, 1908/4230 [übersetzt aus
dem Italienischen von mir]. Die Beschreibung stimmt schon daher nicht, weil Zigar
die Anordnung nicht vom Bischof, dessen Sitz vakant war, sondern dem Vikar der
kroatischen Kleinstadt Novi, Matej Cvetko, erhielt, der in der bischöflichen Vakanz
stellvertretend agierte.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303