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229Kirchenstreit
in der Hafenstadt Fiume / Rijeka
lität beschreibt also nicht eine kulturelle Eigenschaft einer immerwährenden,
geschlossenen Gruppe, sondern sagt viel mehr über die Interpretations- und
Diskursmacht (als Ereignis) aus, in der (und mit der) die Ethnizität / Nationa-
lität diskursiv hergestellt und als etwas Vorhandenes gedacht wird.255
Daher ist die wichtigste Frage bezüglich der ländlichen Konflikte, wer die
Akteure identifizierte. Wer besaß die Macht, die Diskurse herzustellen und
somit die Akteure in den Dörfern zu kategorisieren? Die Riječki Novi List
meinte, dass »Menschen, die in Rijeka [Fiume] die Macht in ihren Händen
hatten, hatten es nach dem Recht auch in Drenova«.256 Damit waren frei-
lich »die Italiener« und »die Ungarn« gemeint, denen gegenüber »die kro-
atische [Kultur] [sowohl in Fiume / Rijeka als auch in Drenova – P. T.] ihren
Platz sucht, der ihr rechtlich zusteht«.257 Auch wenn die Machtinhaber in
der Stadt tatsächlich meistens italienischer oder ungarischer Abstammung
waren, nationalisierte die kroatischsprachige Zeitung diese sozial bedingte
Machtstruktur. Die Machtverhältnisse lassen sich nicht nach dieser natio-
nalistischen Logik beschreiben, weil ihnen nicht primär nationale, sondern
soziokulturelle Unterschiede zugrunde lagen. Bezüglich des Dorfes hatten
etwa nicht nur »die Italiener« und »die Ungarn« die definitorische Macht
inne, sondern auch die kroatisch-nationalistischen Agitatoren bzw. der örtli-
che (überwiegend kroatischsprachige) Klerus.
Weil Drenova nicht nach den nationalistischen Erwartungen und Annah-
men handelte, nahm besonders die kroatisch-nationalistische Presse die
Geschichte als Beispiel eines national indifferenten, rückständigen Dorfes
wahr, das praktisch – wie es während der antialtslawischen Aufstände in
Lika-Krbava ebenso gefordert wurde – ob seiner nationalen »Identität« noch
belehrt werden müsse. In der nationalistischen Auffassung galten die Dorf-
bewohner als »national indifferent«, also rückständig. Die kroatisch-natio-
nalistischen Agitatoren machten den Drenovaern in diesem Sinne mehrmals
zum Vorwurf, nicht nach den nationalistischen Erwartungen zu handeln.
Die istrianische, kroatischsprachige Zeitung Naša Sloga stellte empört der
Dorfgemeinschaft folgende Frage: »Wir sind immer das, was wir waren, aber
wo stehen sie [die Dorfbewohner – P. T.]? […] [I]hr seid keine Italiener, und
ihr werdet es nie sein. […] Renegaten sind diejenigen, […] die nicht einmal
wissen, was sie sind. Traurig für ihre Heimat!«258 Dass sich die Dorfbewoh-
ner in Drenova anders identifizierten, weil sie ihre »Identität« eigensinnig
erlebten, kam den kroatisch-nationalistischen Agitatoren sogar wie ein Ver-
such vor, »Italiener« oder »Ungarn« werden zu wollen: »In Rijeka [Fiume]
255 Göderle, Zensus und Ethnizität, S. 28f.
256 Riječki Novi List, 20. Februar 1909 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
257 Ebd. [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
258 Naša Sloga, 20. August 1908 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303