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232 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
Bistum unterstellt. Der Konflikt in Drenova wurde in den italienisch- und
ungarischsprachigen Zeitungen und Berichten dementsprechend als Beispiel
für die dringende Notwendigkeit einer kirchenrechtlichen Abtrennung vom
Bistum Senj angeführt. Dabei wurde impliziert, dass sich die Dorfbewohner,
die Don Zigar zurückforderten, aus national- und kirchenpolitischen Grün-
den den bischöflichen Entscheidungen widersetzt hätten. Die italienisch-
sprachige Elite der Hafenstadt und die ungarische Regierung aus Budapest
behaupteten, dass die Kirche in Fiume / Rijeka – infolge ihrer Zugehörigkeit
zum kroatischen Bistum Senj – nur »kroatischen« Interessen diene. Die ita-
lienischsprachige Elite der Hafenstadt betrachtete dementsprechend die Kir-
che in Fiume / Rijeka als einen Raum der »kroatischen« Propaganda.
Im Folgenden wird aufgezeigt, wie der kirchliche Raum in Fiume / Rijeka
staats- und nationalpolitisch umkämpft wurde bzw. wie die diesbezüglichen
Diskurse die Wahrnehmung und den Verlauf des lokalen Konfliktes in Dre-
nova vergrößerten.
Die Kirche wurde nicht nur italienischer- und ungarischerseits national
markiert. Nachdem die ungarische Macht ab den 1880er-Jahren alle anderen
kroatischen Institutionen (kroatisches Gymnasium, Gespanschaftsverwal-
tung von Modrus-Fiume / Modruš-Rijeka) aus der Stadt verbannt hatte,271 sah
die kroatischsprachige Bevölkerung der Hafenstadt in der städtischen Kir-
che – besonders unter dem Stadtpfarrer Don Kukanić – ihre letzte nationale
»Bastion«, welche Fiume / Rijeka institutionell noch mit Kroatien verband.272
Die kroatisch-nationalistischen Kreise betonten die nationalpolitische
Bedeutung der bestehenden kirchenrechtlichen Lage. Als kroatischsprachige
Priester im Februar 1909 eine Versammlung in Buccari / Bakar gegen die
Abtrennungspläne abhielten, begründeten sie ihre Ablehnung mit dem nati-
onalpolitischen Argument, dass »die Kirche von Rijeka [Fiume] gegenwär-
tig die einzige Beziehung ist, die Rijeka [Fiume] mit Kroatien verbindet«.273
Selbst das liberale, kroatischsprachige Blatt der Stadt, Riječki Novi List, wies
darauf hin, dass dem kroatischen Volk in Fiume / Rijeka »nichts anderes
übrig blieb als die Einheit in kirchlichen und priesterlichen Angelegenheiten
[mit Kroatien – P. T.]«.274
Die Aversion der italienischsprachigen, liberalen Elite gegenüber der »kro-
atischen« Kirche kam auch der ungarischen Regierung zugute. Im lokalen
271 Zoran Grijak, Odnos Hrvata prema problemu odvajanja Riječke župe od senjsko-
modruške biskupije [Verhältnis der Kroaten gegenüber dem Problem der Lostren-
nung der Fiumaner Pfarrei vom Bistum von Senj-Modruš], in: Bernardin Nikola
Škrivanić i njegovo vrijeme, S. 61–92, hier S. 68.
272 Butorac u. a., Povijest Rijeke, S. 235.
273 Memorandum an Jurij Posilović (10. Februar 1909), in: NbAZ, Posilović, AP, kut. 4
[ohne weitere Nummerierung] [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
274 Riječki Novi List, 6. Dezember 1908 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303