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235Kirchenstreit
in der Hafenstadt Fiume / Rijeka
»italienischer« Priester zu verhalten? Diese Fragen dominierten die öffentli-
che Wahrnehmung des Kirchenstreites. Für die kroatisch-nationalistischen
Kreise stellte Drenova ein Beispiel nationaler Indifferenz dar, der mit einer
stärkeren kroatischen Prägung der Kirche begegnet werden solle; für die ita-
lienisch- oder ungarisch-nationalistischen Kreise war Drenova ein Beweis
dafür, warum die Hafenstadt vom angeblich zu kroatisch geprägten Bistum
Senj losgelöst sein müsse. Gouverneur Sándor Nákó von Nagyszentmiklós
schilderte die Affäre als eine beispielhafte Zuspitzung des Konflikts, der zwi-
schen den Fiumanern und dem Bistum längst bestanden habe. Er meinte,
dass »die Ereignisse in Drenova es [die Problematik der ungelösten Bistums-
frage – P. T.] am prägnantesten illustrieren«.283 Gouverneur Nákó befürch-
tete diesbezüglich sogar einen »Kulturkampf«, was hier vielmehr national-,
als kirchenpolitische Konflikte bedeutet hätte:
Die seit Jahrzehnten gegen den slawischen Klerus gerichtete Antipathie brach im
Falle des Drenovaer Pfarrers mit elementarer Kraft hervor. Die ganze Gemeinschaft
[in Drenova] bezog einmütig Stellung gegen die kroatischen Priester, und wenn es in
diesen Angelegenheiten nicht rasch geholfen wird, steht uns ein radikaler Kultur-
kampf bevor.284
Ein solches Narrativ ermöglichte sogar, dass die nationalpolitisch motivier-
ten Verselbstständigungsforderungen so vorgetragen werden konnten, als ob
eine Lostrennung letztendlich im Interesse der katholischen Religion stünde.
Gouverneur Nákó hob gerade mit Hinweis auf die Affäre in Drenova hervor,
dass der kroatischsprachige, im Priesterseminar von Senj ausgebildete Kle-
rus der Aufgabe, in einem multiethnischen Umfeld zu wirken, nicht gerecht
werden könne:
Die Hafenstädte sind bekanntlich die unmoralischsten Orte, deren ganzes inneres
Leben nur dann auf einem gewissen Niveau zu halten ist, wenn die ernsthafte Reli-
giosität gepflegt wird. Wenn aber die Bevölkerung mit Recht im ständigen Streit [mit
der Kirche] lebt, dann entfernen sich die Gläubigen vollkommen von der Religion. Der
kroatische Klerus ist national betrachtet so vollkommen intolerant, dass ihm Gläubige
anderer Nationalität nicht anvertraut werden dürfen.285
283 Brief des Gouverneurs Nákó an den Ministerpräsidenten Wekerle (31.
August 1908),
in: MNL OL, ME, FÜ K26, 1908/3795 [übersetzt aus dem Ungarischen von mir].
284 Ebd. [übersetzt aus dem Ungarischen und Hervorhebung von mir].
285 Note vom ungarischen Ministerpräsidenten Sándor Wekerle über die Bistumsfrage
(20.
September 1908), in: Ebd., 1908/2158 [übersetzt aus dem Ungarischen von mir].
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303