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weise aufgezeigt wurde, waren auch im oberadriatischen Raum vorhanden.
Sie wurden aber – und darin besteht der Unterschied zu den Staaten, die
ethnisch-national homogen sind – vom Konfliktnarrativ der »Nationali-
tätenkonflikte« überdeckt, in dem die verschiedenen Pole der jeweiligen
Konfliktparteien ethnisch beschrieben oder markiert wurden: »südslawi-
sche« Kirche, »italienische« Stadt, »südslawisches« Dorf usw. Die Konflikte
und die Gewaltakte auf der lokalen Ebene wurden entweder von den loka-
len Akteuren oder in den städtischen Diskursen somit »verständlicher«
gemacht – als Teil einer politischen Kommunikation, in und mit welcher
sich die Ereignisse in den Gedanken der vermeintlichen »Nationalitäten-
konflikte« umwandeln ließen. Heinz-Gerhard Haupt definiert Gewalt als
politische Kommunikation, die daher in ihren »politische[n] Deutungs-
und Wirkungszusammenhänge[n]« zu verorten sei.3 Weil die Öffentlichkeit
in der Habsburgermonarchie vom Narrativ der »Nationalitätenkonflikte«
dominiert war, wurden auch die Ge waltmomente, die ich in dieser Arbeit
untersuchte, ständig als deren Teil rezipiert.
Bei vielen Fällen aus dem österreichischen und ungarisch-kroatischen
Teil des Küstenlandes war allerdings auffallend, dass die verbal oder phy-
sisch angegriffenen Menschen in den Konfliktbeispielen derselben Nati-
onalität angehörten wie ihre Angreifer. Siehe etwa die Beispiele des italie-
nischstämmigen Bischofs Flapp in Visinada / Vižinada (Kapitel 3.1.2), der
slowenischsprachigen Priester in Ricmanje (Kapitel
3.2.2), der kroatischspra-
chigen Priester in den Dörfern von Lika-Krbava (Kapitel
4.1.2) oder Drenova
(Kapitel 4.2.2). In all diesen Fällen wurde zwar das nationale Vokabular zur
Beschreibung der Konfliktgründe und der Konfliktparteien bedient, aber es
lagen vor Ort keine ethnischen Differenzen unter den Akteuren vor.
In den politischen Konflikten ging es oft darum, welche Elitengruppe das
jeweilige Volk zu repräsentieren beanspruchte. Diese Strategie der städti-
schen Akteure wurde von außen her in die ländlichen Gebiete getragen, die
städtische Öffentlichkeit war von ihr eindeutig geprägt. Besonders in der ita-
lienischsprachigen Öffentlichkeit, die im Österreichischen Küstenland einen
ideologisch wie strukturell klar ausgeprägten parteipolitischen Pluralismus
(Nationalliberale, Klerikale, Sozialisten usw.) aufwies, konnten die nationa-
listischen Akteure mit einem Rekurs auf eine homogene »Nation« die Sym-
pathisanten anderer Strömungen aus der so vorgestellten nationalen commu-
nity ausschließen.
3 Heinz-Gerhard Haupt, Gewalt und Politik im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts,
Göttingen 2012, S. 7f.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303