Seite - 71 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Bild der Seite - 71 -
Text der Seite - 71 -
turfunktionären des Ständestaates und des Dritten Reiches reüssiert hatten, ist
– so Klaus Amann –, „symptomatisch für das geistige Klima der Nachkriegszeit
und ein Beleg für das zeit- und regimeüberdauernde Wirken bestimmter Lob-
bies im kulturellen Bereich“.102 Thomas Bernhard, der 1968 nur den „kleinen“
österreichischen Staatspreis erhielt, mokierte sich dabei über die vorangegange-
nen Preisträger: „Wenn mich die Leute fragten, wer denn diesen sogenannten
Großen Staatspreis schon bekommen habe, sagte ich jedesmal, lauter Arschlö-
cher und wenn sie mich fragten, wie denn diese Arschlöcher hießen, so nannte
ich ihnen eine Reihe von Arschlöchern, die ihnen alle unbekannt waren, nur
mir waren diese Arschlöcher bekannt.“103
Nennenswerte Auszeichnungen an politisch Unverdächtige gingen u. a. an
Franz Theodor Csokor (Staatspreis für österreichischer Literatur 1955, Preis
der Stadt Wien 1953), dagegen wurde der Preis der Stadt Wien erst postum 1958
an den aus dem englischen Exil zurückgekehrten Theodor Kramer verliehen.
Dies zeigt, dass die österreichischen Literaturpreise unmittelbar nach dem Krieg
nicht als Instrument der Wiedergutmachung oder als Anreiz dazu verwendet
wurden, die exilierten und vertriebenen Autorinnen und Autoren wieder heim-
zuholen.
Auch hinsichtlich der Förderung durch Preisvergaben wurde der österreichi-
sche literarische Nachwuchs vernachlässigt, es setzte sich in der Praxis eine Kon-
tinuität zum Ständestaat fort.104 Denn in den Genuss staatlicher Unterstützung
in Form von Literaturpreisen und Subventionen kamen fast nur Mitglieder des
P.E.N., die „ja auch von den offiziellen Stellen als einzige Ansprechpartner und
Vertreter österreichischer Literatur – somit als Jury-Mitglieder, Gutachter etc.
– gesehen wurden.“105 Noch bis in die 1960er Jahre bildeten diese staatlichen
Preisvergaben das überwiegende Medium der staatlichen Förderung. Auch Ver-
lage stifteten Preise, z. B. vergab Kremayr und Scheriau einen Romanpreis in der
Höhe von 10.000 Schilling an Franz Karl Franchy.
2.1.5 Private Initiativen
Es gab auch private Initiativen zur Förderung einer jungen Literatur und zur
Etablierung eines Literaturbetriebs, die von öffentlicher Subvention oder einem
102 Klaus Amann: Men for all Seasons. Österreichische Literaturpreisträger der fünfziger Jahre.
In: Ders.: Die Dichter und die Politik, S. 219–222, hier S. 219.
103 Thomas Bernhard: Meine Preise. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009, S. 71.
104 Vgl. Friedbert Aspetsberger: Literarisches Leben im Austrofaschismus. Der Staatspreis. König-
stein/Ts.: Hain 1980 (= Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur 2).
105 Klaus Zeyringer: Österreichische Literatur seit 1945. Überblicke, Einschnitte, Wegmarken.
Innsbruck: Haymon 2001, S. 99.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Entwicklung(en) des Literaturbetriebs nach 1945 71
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437