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4.3 Der Literatur-Organisator Kraus
An dieser Stelle wird Kraus’ organisatorische Rolle im österreichischen Litera-
turbetrieb beschrieben und dabei die Wirkung, die er entfaltete, in Ansätzen
dargestellt werden. Dabei geraten verschiedene Tätigkeiten ins Blickfeld, eben
jene literaturbetrieblichen Positionen, die er temporär oder längerfristiger besetz-
te. Als Organisator soll die Rolle, die Kraus im institutionellen Rahmen inne-
hatte, etwa im Europa-Verlag, als Begründer mehrerer jeweils einem Autor gewid-
meter Vereine, Anreger von bzw. Juror in literarischen Preisen sowie als
Zeitschriftenmitherausgeber kursorisch dargestellt werden. Kraus, der in den
1970er Jahren mannigfaltige Kapitalsorten im literarischen Feld akkumuliert
hatte, sprach gegenüber Hans Weigel davon, dass sein „Kreis der Freunde“ so
klein geworden sei, „daß man von einem Kreis nicht mehr sprechen kann“.220
Dies setzte er in Zusammenhang mit seiner Position innerhalb des Feldes der
Macht: „Bei immer größer werdendem Betrieb wächst vor allem die Isolation.“221
4.3.1 Im Europa-Verlag
Im Mai 1971 berichtete Kraus Manès Sperber, er habe mit dem Generaldirektor
des Vorwärts- und Europa-Verlags einen Vertrag abgeschlossen, „die Leitung
des Europa-Verlages zu übernehmen und ein neues Programm in mehreren
Sparten aufzubauen“, wobei sein „organisatorisches Zentrum“ die ÖGL bleiben
würde: „Flämische Gobelins und Barock könnte man mir anderswo nicht bie-
ten, obwohl es darauf natürlich nicht ankommt“.222
Der Europa-Verlag war 1933, nach der Machtergreifung der Nationalsozia-
listen in der Schweiz gegründet worden, um „exilierte oder im Dritten Reich
verbotene Schriftsteller zu Wort kommen zu lassen“, und im Verlagsprogramm
standen Werke im Vordergrund, die „für die Würde und Freiheit des Menschen“223
eintraten. Seit 1947 war eine Filiale des Verlags in Wien beheimatet, in seiner
Frühzeit wurden z. B. Karl Renners Memoiren oder Franz Höllerings Die Ver-
teidiger (1947) verlegt, ein Roman über den österreichischen Bürgerkrieg im
Februar 1934. Die ersten bedeutenden Arbeiten Friedrich Heers, z. B. Aufgang
Europas (1949) und Gespräch der Feinde (1949), erschienen ebenfalls dort. Der
Eigentumstitel der Wiener Filiale des Verlags wurde von der Österreichischen
220 Wolfgang Kraus an Hans Weigel, 25. Juni 1973, NL HW, Archivbox 10.
221 Ebd.
222 Wolfgang Kraus an Manès Sperber, 25. Mai 1971, NL WK.
223 Fritz Renner (Red.): 50 Jahre Europa-Verlag. „Aus dem Drangsal in ein neues Europa“. Wien,
München, Zürich: Europa Verlag 1983, S. 7.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der Literatur-Organisator Kraus 245
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437