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ren durch die ÖVP für kulturpolitische Zwecke instrumentalisiert wurde, steht
in dieser Konzeption diesem rückwärtsgewandten kulturpolitischen Konzept
gegenüber, was sich auch mit der politischen Dominanz der SPÖ ab 1970 erklä-
ren lässt.7 Kraus warnt ausdrücklich vor Klischees und undifferenziertem
Geschichtsbewusstsein, das die Vergangenheit glorifiziert.
Auch der Aspekt der Organisation von Literatur soll in diesem Kapitel zur
Darstellung gelangen. Dieser beinhaltet sowohl Kraus’ Arbeit im Europa-Verlag
zwischen 1970 und 1975, die Mitbegründung der literarischen Zeitschrift „Die
Rampe“ sowie seine Anregung zu verschiedenen, auch privat gestifteten, Lite-
raturpreisen, für die er jahrzehntelang als Juror fungierte. Zuletzt sollen auch
die „Kämpfe“ dargestellt werden, denen Kraus im Zuge der Ausdifferenzierung
des literarischen Feldes verstärkt ausgesetzt war und die größtenteils eher in
Polemiken und publizistische Fehden ausarteten, da seine Position im Feld der
„Macht“ unbezwingbar war. Erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war
Kraus mit Einbußen seines symbolischen Kapitals konfrontiert. Diesen Konflik-
ten wird auch deshalb Bedeutung beigemessen, da sie innerhalb des Feldes zum
sozialen Wandel beitragen und Veränderungen unterstreichen.8
Kraus soll in diesem Kapitel als eine Konsekrations- und Legitimationsins-
tanz des österreichischen Literaturbetriebes dargestellt sowie sein Netzwerk und
dessen Wirkungszusammenhänge aufgezeigt werden, denn „dieses Netz enthält
geradezu im Laborzustand“, wie Franz Schuh bemerkt hat, „ein Paradigma für
die österreichische Literatursoziologie“.9 Der Begriff „Konsekration“ wird hier
nach Bourdieu verwendet, der damit die gesellschaftlich-kulturelle „Weihung“
und „Anerkennung“ von kulturellen Produkten bezeichnet.10
4.1 Kraus als Literaturvermittler
Der Begriff „Literaturvermittlung“ ist ein Kompositum, das sowohl Fragen nach
der Implikation des Vermittelns, also den technischen Voraussetzungen dieser
Tätigkeit, und nach Möglichkeiten der Präsentation impliziert.11 Es ist ein häu-
fig gebrauchter, jedoch, wie Stefan Neuhaus hingewiesen hat, unscharfer Begriff,
7 Vgl. Laurence Cole: Der Habsburger-Mythos. In: Emil Brix, Ernst Bruckmüller, Hannes Stekel
(Hg.): Memoria Austriae I. Menschen, Mythen, Zeiten. Wien: Verlag für Geschichte und Poli-
tik 2004, S. 473–505, hier insbes. S. 484.
8 Vgl. Markus Schwingel: Analytik der Kämpfe. Macht und Herrschaft in der Soziologie Bour-
dieus. Hamburg: Argument 1993 (= Argument-Sonderband N. F. 215), S. 13.
9 Franz Schuh: Literatur und Macht am Beispiel Österreichs der siebziger Jahre. In: Liebe, Macht
und Heiterkeit. Essays. Klagenfurt: Ritter 1985, S. 175–202, hier S. 199.
10 Vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 198–205.
11 Vgl. Stefan Neuhaus: Literaturvermittlung. Konstanz: UKV 2009 (= UTB 3285), S. 7.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
196 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437