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ihnen, als es unbedingt für die Abwicklung unserer Kontakte notwendig ist.“133
In demselben Brief an Stone meinte Kraus, dass es für Stone „sehr viel schwe-
rer“ sei, einen „nicht-offiziellen Schriftsteller aus […] der [Č]SSR nach Ameri-
ka oder nach dem Westen zu bringen, als für den neutralen Staat Österreich“
und bot Stone an, „verschiedene Schriftsteller, Germanisten, Regisseure und
Persönlichkeiten, die irgendwie mit der Literatur in Zusammenhang stehen,
sozusagen in Ihrem Auftrag einzuladen, wobei natürlich Ihre Institution nicht
aufscheinen dürfte“.134
Dass in „Wien Dinge möglich sind, die schon in Berlin nicht mehr möglich
sind“135, zeigte sich auch im Jahr 1968, als nach dem russischen Einmarsch in
der ČSSR etwa 200 Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die nach Wien geflo-
hen waren, an die Tür der ÖGL klopften. Kraus, dessen „Büro voller tschechi-
scher Schriftsteller“ war, „denen ich helfe, so gut ich kann“136, berichtete Minden
in einem Brief, dass trotz der Gespräche, die er mit Stone bezüglich der Flücht-
linge geführt hatte, „nicht ein Groschen für diese Leute flüssig gemacht“ worden
sei und die Hilfsmaßnahmen sich „nur aus österreichischen Quellen“ gespeist
hätten. Kraus zeigte sich „über diese Entwicklung tief enttäuscht“ und fragte
sich, „ob es einen politischen Wink von oben gegeben hat, der zu einem so tota-
len Kurswechsel“137 geführt habe.
1970 kam Kraus in einem Brief an Sperber zu dem Schluss, dass Österreich
für die Ost-West-Begegnung „nicht mehr wichtig [sei], andere Länder (Frank-
reich, die Bundesrepublik) haben uns überholt, wenn auch, meiner Ansicht nach,
oft mit blindem Eifer“.138 Auch in seinen privaten Aufzeichnungen gedachte
Kraus noch einmal wehmütig dieser Zeit seiner größten Erfolge: „Wie weit liegt
die erfolgreiche Zeit der großen Ost-West-Kongresse zurück! Damals dachte
ich, es würde so weitergehen, eher noch höher hinauf“.139
6.4 Die intellektuellen Dissidenten aus dem Osten
Eine weitere Aufgabe der ÖGL war, mit ideologisch aufgeschlossenen Autorin-
nen und Autoren aus dem größeren Bereich der ehemaligen Donaumonarchie
in Verbindung zu treten (vgl. Kapitel 3.7). Die ausgesprochenen Einladungen an
Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie Wissenschaftlerinnen und Wissen-
133 Wolfgang Kraus an Shepard Stone, 13. Dezember 1965, ÖGL-Archiv.
134 Ebd.
135 Ebd.
136 Ders. an Heinrich Böll, 16. September 1968, ÖGL-Archiv.
137 Wolfgang Kraus an George Minden, 15. Jänner 1969, ÖGL-Archiv.
138 Ders. an Manès Sperber, 28. Dezember 1970, NL WK.
139 Ders.: Tagebuch, 29. März 1972, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die intellektuellen Dissidenten aus dem Osten 385
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437