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4.5 Resümee
Die in diesem Kapitel dargestellten vielfältigen Felder innerhalb des österreichi-
schen Literaturbetriebes, an denen Wolfgang Kraus partizipierte, zeigen ihn als
einen zentralen Akteur. Dass er aus unterschiedlichen, aber miteinander in
Zusammenhang stehenden Feldern wie Literaturkritiker, Verlagsarbeiter, Zeit-
schriften-Herausgab, Förderung mittels staatlicher und privater Strukturen sowie
als Juror von zahlreichen Literaturpreisen agierte, signalisiert die Parallelität und
Omnipräsenz seiner literaturvermittelnden Praxis und markiert darüber hinaus
durch seine stetige Akkumulation mannigfaltiger Funktionen seine Position
innerhalb des Feldes der Macht.
Über einen längeren Zeitraum kamen diejenigen österreichischen Autorin-
nen und Autoren, die in das Feld eintreten wollten, kaum an der von Kraus
gesetzten Doxa – im Sinne Pierre Bourdieus, der damit die Basis der Spielregeln
innerhalb eines spezifischen Feldes bezeichnet –, vorbei, weshalb sich Zeitge-
nossinnen und Zeitgenossen darin bestätigt fanden, dass er „eine außenpolitisch
liberale, nach innen aber reaktionäre Politik verfocht“.455
Hinsichtlich Kraus’ Biographie, die natürlich als Konstruktion „nur den End-
punkt der wissenschaftlichen Untersuchung“ darstellt, ist zu bemerken, dass sich
seine Laufbahn im literarischen Feld als „Serie nacheinander“ vollzog, insofern
als hier „von demselben Akteur […] in verschiedenen Räumen nacheinander
bezogene Positionen“ besetzt wurden, wodurch er über vielfältige Kapitalsorten
im Feld verfügte, die sowohl ökonomisches und symbolisches, aber auch „spe-
zifisch zur Konsekration dienendes Kapital“ umfassten.456
Wie gezeigt werden konnte, kam es mit der Ausdifferenzierung des literari-
schen Feldes in Österreich zu „Kämpfen“, wobei die Struktur des Feldes dabei
stets „den Stand der Machtverhältnisse zwischen den am Kampf beteiligten
Akteuren oder Institutionen“457 wiedergibt. Diese Auseinandersetzungen konn-
te Kraus jedoch unbeschadet überstehen, da seine Kapitalsorten zu zahlreich
waren, um seine Position zu gefährden. Er konnte, gestützt auf seine umfassen-
den Verbindungen, die Akteure und Institutionen des Literaturbetriebs, staatli-
che Stellen sowie vereinzelt Politiker und hohe Beamte umfasste, seine „Spiel-
regeln“ durchsetzen.
455 Thomas Rothschild: Österreichische Literatur. In: Klaus Briegleb, Sigrid Weigel (Hg.): Hanser
Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16.
Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 12: Gegen-
wartsliteratur seit 1968. München: dtv 1992, S. 676.
456 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 409 f. [Kursivierung im Original.]
457 Pierre Bourdieu: Soziologische Fragen. Aus d. Frz. v. Hella Beister u. Bernd Schwibs Frank-
furt/M.: Suhrkamp 2001 (= es 1872), S. 108.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
294 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437