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4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“.
WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE
LITERATUR
Wolfgang Kraus war innerhalb des österreichischen Literaturbetriebes das, was
man als Literaturmanager und Literaturbetriebsfunktionär bezeichnen kann,
wobei er zahlreiche Felder besetzte, die neben der Literaturkritik in diversen
Medien auch die Propagierung und Distribution von Literatur sowie Preisver-
gaben miteinschlossen. Eine Tagebucheintragung seiner Geschäftigkeit im Zei-
chen des Literaturbetriebs gibt darüber bezeichnenden Aufschluss: „Ganzer
Vormittag mit Korrespondenz und Telefonieren zu Hause, das Management reißt
nicht ab. Die Vortragstermine, die Redigierung der Vortragsmanuskripte, Tele-
fonate mit Rundfunk, Juroren, A[ußen]A[mt], Lit[eratur]gesellschaft, ein volles
Pensum von ¾ 8 Uhr bis ½ 1 Uhr, dann Zahnarzt, […] Donauland-Jury. Am
Abend werde ich halbtot sein.“1
Dieses „Management“ hatte er von der Pike auf gelernt, zunächst beim
Paul-Zsolnay-Verlag in den 1950er Jahren und später als freier Literaturkritiker,
der für nationale und internationale Zeitungen und Zeitschriften Beiträge ver-
fasste. Kraus wusste stets eine Position im Literaturbetrieb mit einer anderen zu
verbinden und ging dabei komplementär vor. So konnte während der 1970er Jah-
re ein in die Österreichische Gesellschaft für Literatur eingeladener Gast, Auto-
rin bzw. Autor des Europa-Verlags sein, die bzw. der noch an der TV-Sendung
„Jour fixé“ teilnahm; des Weiteren verfügte Kraus als Juror über eminentes Mit-
spracherecht bei verschiedenen österreichischen Literaturpreisen, die ebenfalls
dazu beitrugen, einer Autorin bzw. einem Autor die nötige Öffentlichkeit zu ver-
schaffen. Kraus achtete stets darauf, dass er alle Register der Publicity zog, die
sich bei der Propagierung einer Autorin bzw. eines Autors boten und es ist nach-
vollziehbar, dass dieser hegemoniale Zustand im literarischen Feld nicht kritiklos
hingenommen wurde, vor allem, wenn Personen aus den Kraus’schen Förde-
rungskategorien z. B. aus literaturästhetischen oder ideologischen Gründen –
manchmal auch aufgrund privater Animositäten –, ausgeschlossen blieben.
Mit Pierre Bourdieu ließe sich postulieren, dass Kraus über verschiedene
Kapitalsorten verfügte, die ihn in den Stand setzten „dominierende Positionen
in den unterschiedlichsten Feldern (insbesondere dem ökonomischen und kul-
turellen) zu besetzen“,2 wodurch es ihm gelang, eine zentrale Position im litera-
1 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 19. Mai 1981. Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbib-
liothek, Wien, ÖLA 63/97, Nachlass Wolfgang Kraus [im Folgenden als NL WK zitiert].
2 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Aus dem
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437