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5.3 Die Kulturkontaktstelle
„[J]enseits der österreichischen Grenzen herrsche die feste Überzeugung, daß der
Österreicher in seiner Kindheit als Sängerknabe aufwachse und sich nach dem Stimm-
bruch in einen Lipizzaner verwandle.“120
Über die von Wolfgang Kraus geleitete „Kulturkontaktstelle“, die im österreichi-
schen Außenministerium angesiedelt war, ist bisher noch nicht systematisch
geforscht worden, obwohl sie zwischen 1975 und 1981 das zentrale Instrument der
österreichischen Auslandskulturpolitik war. Dies dürfte auch daran liegen, dass
die Quellenlage dazu als mangelhaft zu bezeichnen ist, weshalb sich die folgende
Darstellung vor allem auf Materialien aus Kraus’ Nachlass, Fundstücken aus der
„Österreichischen Gesellschaft für Literatur“ und den Auslandspolitischen Berich-
ten des Außenministeriums zusammensetzt. Die „Kulturkontaktstelle“ führte ihre
Akten ohne Aktenzahlen, weshalb diese Bestände nicht mehr auffindbar sind.
Einige kritische Überlegungen hinsichtlich der auslandskulturpolitischen
Bestrebungen auf literarischem Gebiet hat Klaus Zeyringer angestellt und dar-
auf hingewiesen, dass, wenn ein Land wie Österreich eine Staatsideologie auf
dem Fundament einer kulturellen Repräsentanz aufbaut und dabei hinsichtlich
ökonomischer Aspekte auch Faktoren wie dem Fremdenverkehr Rechnung zu
tragen sind, der das Image als „Kulturnation“ propagieren soll, dieses Land auch
eine „Literatur zur kulturellen Werbung und als Exportartikel – allerdings viel
weniger als die spektakulären Einrichtungen der ‚Hochkultur‘“121, brauche. Dies
lässt den Autorinnen und Autoren, die „von dieser Staatsideologie, von einem
derartigen Ausverkauf und vom offiziellen Kulturbetrieb wenig halten“122, nur
wenige Möglichkeiten, wenn sie mit ihren Werken in der österreichischen Öffent-
lichkeit oder im Ausland wahrgenommen werden möchten. Literatur als „Export-
artikel“ lag in den Agenden des österreichischen Außenministeriums, das Auto-
rinnen und Autoren propagierte und protegierte oder gegebenenfalls aus dem
Kanon ausschloss. Dabei wurden vor allem zwei komplementäre Taktiken ein-
gesetzt, einerseits konnte der Staat durch diese praktizierte Förderungs- und
Kulturpolitik „die Literaten umarmen, bis nicht mehr klar ist, wer hier wen
umarmt; und er kann die unangenehmen Literaten zu Nestbeschmutzern stem-
peln, die ‚mit unseren Steuergeldern‘ Schindluder treiben, zu Dichterlingen […]
und zu (pathologischen) Fällen für die Wissenschaft“.123
120 Wolfgang Kraus: Gedanken über die österreichische Kultur im deutschsprachigen Raum, ms.
Ts., ÖGL-Archiv.
121 Zeyringer: Innerlichkeit und Öffentlichkeit, S. 76.
122 Ebd.
123 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Kulturkontaktstelle 323
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437