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Politisch galt die Galerie (nächst) St. Stephan, die der Theologe und Mäzen
Otto Mauer 1954 gegründet hatte, zwar als Vorfeldorganisation der ÖVP, den-
noch sammelte Mauer Avantgarde-Künstler – v. a. des art informel und der Abs-
traktion – um sich, wogegen viele ÖVP- und Kirchenfunktionäre opponierten,
denen „die unmoralischen, unbürgerlichen Umtriebe der Galerie zutiefst zuwi-
der waren“.115 Auch dort fanden literarische Lesungen und Diskussionen statt.116
Als weitere Anlaufstellen für literarisch Interessierte bzw. angehende Schrift-
stellerinnen und Schriftsteller nannte Max Blaeulich die Wiener Privatwohnung
des Bibliophilen Hans Wagener sowie Werner Riemerschmid, der eine „Private
Leih-Bibliothek“ in Mödling besaß und auch Kontakte zum Rundfunk herstell-
te.117
Als eine periphere Erscheinung der 1950er Jahre kann die sogenannte Wie-
ner Gruppe bezeichnet werden. Klaus Kastberger verweist auf „das damalige
Provokationspotential“ der Gruppe, die sich aus H.
C. Artmann, Friedrich Ach-
leitner, Konrad Bayer, Oswald Wiener und Gerhard Rühm zusammensetzte und
in einen durchaus „breiteren Kontext von Subkultur und in ein größeres Umfeld
abweichender künstlerischer Ausdrucksformen gebettet“118 war. Die „Wiener
Gruppe“ veranstaltete Lesungen und Aktionen, die sich sogar in Zeitungsnoti-
zen wiederfanden. René Altmann, Friederike Mayröcker und Ernst Jandl, die
eher eine periphere Stellung gegenüber dieser „avantgardistischen Zentralmacht“
einnahmen, traten etwa für eine Lesung in der Wiener Urania als „Gruppe 58“
auf.
2.1.6 Verlagssituation und Buchhandel
An dieser Stelle soll auch auf die Verlagssituation der Nachkriegszeit eingegan-
gen werden, die – wie bereits aus den beschriebenen soziopolitischen Kontexten
ersichtlich – ebenfalls mit zahlreichen Problemen behaftet war. Nach 1945 fan-
den sich vor allem nicht-österreichische Autorinnen und Autoren in den Ver-
lagsprogrammen, denn Österreich war sieben Jahre lang von den internationa-
len literarischen Entwicklungen abgeschnitten gewesen und es bestand
Nachholbedarf hinsichtlich der Weltliteratur. Zudem förderten die Besatzungs-
115 Gerhard Habarta: Frühere Verhältnisse. Kunst in Wien nach ’45. Wien: Verlag Der Apfel 1996,
S. 308.
116 Vgl. Bernhard
A. Böhler: Monsignore Otto Mauer: ein Leben für Kirche und Kunst. Wien: Tri-
ton-Verl. 2003, S. 9 f.
117 Vgl. Blaeulich: Zirkel, Kreise, Treffpunkte der österreichischen Literatur nach 1945. In: Polt-
Heinzl, Strigl (Hg.): Im Keller, S. 151–162, hier S. 155 f.
118 Klaus Kastberger: Wien 50/60. In: Thomas Eder, ders. (Hg.): Schluss mit dem Abendland. Der
lange Atem der Avantgarde. Wien: Zsolnay 2000 (= Profile 5), S. 5–26, hier S. 11.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
74 Der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437