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5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER:
WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE
KULTURPOLITIK
Als Vertrauter und Mittelsmann der Mächtigen operierte Wolfgang Kraus seit
der Gründung der ÖGL im Jahr 1961. Er verdankte im speziellen dem Unter-
richtsminister Heinrich Drimmel und dessen Sektionschefs Hans Brunmayr und
Alfred Weikert die Etablierung dieser Institution. Brunmayr, ein Wiener Litera-
turhistoriker, der lange Jahre im Unterrichtsministerium für die Literaturförde-
rung zuständig war, leitete in den 1970er Jahren das österreichische Kulturins-
titut in Paris und fungierte u. a. als Herausgeber der gesammelten Gedichte des
Schriftstellers Guido Zernatto,1 der im Austrofaschismus unter Kurt Schusch-
nigg als Staatssekretär sowie als Generalsekretär der Vaterländischen Front fun-
giert hatte. Mit Weikert, der als Gründer der österreichischen Kulturinstitute im
Ausland und als Anreger zahlreicher kultureller Initiativen gilt, jedoch 1966
wegen „‚Geschenkannahme in Amtssachen‘ angeklagt […] und nach drei Pro-
zessen […] wegen ‚Vergehens gegen das Finanzstrafrecht‘“ verurteilt worden war,
wodurch seine „‚Karriere und Existenz‘ ruiniert“2 gewesen waren, wie Kraus
in einem Nachruf festhielt, verbindet sich ein gewichtiger Teil von Kraus’ Kar-
riere. In seinem Tagebuch vermerkt Kraus, dass ihn Weikerts „Tragödie auch an
eine Schicksalswende“ seiner eigenen Biographie erinnere: „Nach dem Sturz von
Weikert waren die Bühnenscheinwerfer während der besten Phase der Vorstel-
lung plötzlich abgedreht. Alles Weitere geschah in Notbeleuchtung.“3
Kraus pflegte enge Beziehungen zu jenen Akteuren innerhalb des politischen
Feldes, seien es Politiker, Ministerialräte oder anderweitig engagierte Funktio-
näre, die parallel zu seinen eigenen Interessen agierten bzw. ihm die Möglichkeit
boten, als Relais zwischen dem Feld der Politik und der Literatur zu fungieren.
Kraus hatte sich den kulturpolitischen Leitlinien der ÖVP seit den 1950er
Jahren größtenteils angepasst, jedoch kam im Jahr 1971 mit der SPÖ-Allein-
regierung eine kulturpolitische Wende. Kraus’ Rolle innerhalb des politischen
Feldes, in dem er sich neben seinen diversen Tätigkeiten im literarischen Feld
zwar nicht ausschließlich, aber in verschiedenen Abschnitten seiner Biogra-
phie mehr oder minder intensiv bewegte, gibt zugleich seismografischen Auf-
1 Vgl. Guido Zernatto: Die Sonnenuhr. Gesamtausgabe der Gedichte. Hg. v. Hans Brunmayr.
Salzburg: Otto Müller 1961.
2 Wolfgang Kraus: Dank an Alfred Weikert. Zum Tod eines fast vergessenen Erneuerers öster-
reichischen Geistes. In: Die Furche, 26. April 1990, S. 9.
3 Ders.: Tagebuch, 13. März 1990, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437