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ges fadenscheinig wirken, evident wird diese Mimikry einer quasi unpolitischen
Habsburg-Nostalgie und dem Bekenntnis zum Dialog mit den ehemaligen Kron-
ländern, untersucht man Kraus’ Netzwerke und legt seine Verbindungen zu Ins-
titutionen des Kalten Krieges offen. Obwohl er in einem Artikel konstatiert, dass
das „Erbe der völkerverbindenden Donaumonarchie sehr geschickt und auch
erfolgreich“ durch die österreichische Außenpolitik ins Spiel gebracht worden
sei und dies „ein scharfes Licht auf heute längst anachronistisch gewordene
Relikte des Kalten Krieges [werfe], der früher auch von manchen österreichi-
schen Kreisen tüchtig gefochten“55 worden sei, sind die Tätigkeiten der ÖGL
doch nur eine subtilere Weiterführung des kulturellen Kalten Krieges mit ande-
ren Mitteln.
Seine Erfahrungen in den Ost-Staaten, die er seit der zweiten Hälfte der 1950er
Jahre bereiste, kamen Kraus nach der Gründung der ÖGL im Jahre 1961 natur-
gemäß zugute, denn ein Programmschwerpunkt war die Verständigung zwischen
den Ost- und West-Staaten, also den Autorinnen und Autoren aus dem weiteren
Bereich der ehemaligen Donaumonarchie (vgl. Kapitel 3.7).
Zu den wichtigsten Veranstaltungen und großen organisatorischen Leistun-
gen der ÖGL können retrospektiv wohl die großen Kongresse in den 1960er
Jahren gezählt werden, die auch international für Aufsehen sorgten und „bis
heute eine Legende“ seien – wie Kraus in seinem Tagebuch festhielt: „Man wird
sie kaum je wieder fortsetzen können. Vorbei. Dabei hängt das nur von ein biß-
chen Geld ab.“56
6.2 Die Round-Table-Gespräche der ÖGL
Die drei von der ÖGL veranstalteten und als Round-Table-Gespräche angekün-
digten Kongresse „Theater der Gegenwart – Gegenwart des Theaters“ (22. bis
24.
März 1965), „Unser Jahrhundert und sein Roman“ (25. bis 27.
Oktober 1965)
und „Literatur als Tradition und Revolution“ (24. bis 26.
April 1967) entstanden
nicht nur aus der Idee, dass der „Boden des neutralen Österreichs […] beson-
ders […] eine[r] kulturelle[n] Auseinandersetzung zwischen Ost und West […]
und der Tradition des einstigen Vielvölkerstaates“57 entsprach, vielmehr fungier-
ten sie als verlängerter Arm einer der mächtigsten kulturpolitischen Organisa-
tionen der Nachkriegszeit.
55 Wolfgang Kraus: Das kulturelle Wien: Ort der Begegnung. Österreich aktiviert das geistige
Erbe des Vielvölkerstaates. Ms. Ts., Winter 1964/65, NL WK.
56 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 8. Jänner 1977, NL WK.
57 Ders. an Manès Sperber, 23. Dezember 1964, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Round-Table-Gespräche der ÖGL 367
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437