Seite - 280 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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war daher über Ihre neuerliche Einladung überrascht und möchte […] Ihre
negative Beurteilung meines dortigen Wirkens absolut ernst nehmen.“381
Reich-Ranicki seinerseits nahm mit „Bedauern [...] zur Kenntnis, daß Sie im
nächsten Jahr an der Jury des Klagenfurter Wettbewerbs nicht teilnehmen wol-
len“ und tat Kraus’ Kränkung als „freie und mir unbegreifliche Erfindung“ ab:
„Ich habe sehr wohl am ersten Tag zu Ihnen gesagt, was mir missfallen hat. […]
Später haben Sie jedoch viel genauer zuhören können, haben sich mehrfach
geäußert und was Sie sagten, war ebenso klar wie anschaulich und in vielen Fäl-
len nicht nur richtig, sondern auch von erfrischender und erfreulicher Unmit-
telbarkeit.382
Kraus dürfte die „deutliche Stimmung eines (oft provokanten) Kollisionskur-
ses“ während der Diskussionen nicht gelegen haben, da er auch „bei verschiedens-
ten Standpunkten den Ton gegenseitigen Verstehens einzuhalten bemüht“383 war.
4.4 Polemiken und Kämpfe im Feld
Am schönsten, wann’s im Telewischn / den Wolfgang Kraus dazwischenmischn! /
Ein Mann noch fixer als sein Jour, / den gunn i ihr, der Hochkultur.384
Die Polemik von Fritz Herrmann, einem österreichischen Autor und Mitarbei-
ter im Kabinett des SPÖ-Unterrichtsministers Fred Sinowatz, erschien 1976
unter dem Titel Trara trara die Hochkultur! im „NEUEN FORVM“ und richtet
sich gegen die staatlich subventionierte Hochkultur, darunter die Staatsoper, das
Burgtheater, den ORF, verschiedene Politiker sowie Zeitungen und auch gegen
Kraus. Das Schnadahüfpl war Anlass für einen Skandal, der das Ende von Herr-
manns Karriere im Unterrichtsministerium einläutete. Kraus interpretierte sol-
che auf seine Person gerichteten Angriffe als Attacke gegen die „bürgerlich-ka-
tholisch-liberale Mitte“ und sah darin eine „[u]nglaubliche Ansammlung von
Lügen, Halbwahrheiten und Verleumdungen“.385
„Sie sehen, wie auch ich völlig sinnlos und grundlos angegriffen werde“, erklär-
te Kraus etwa Gertrud Fussenegger, die als eine der „wichtigsten konservativ-ka-
tholischen Schriftstellerinnen“386 Österreichs galt, in der ersten Hälfte der 1990er
381 Ders. an Marcel Reich-Ranicki, 31. August 1984, ÖGL-Archiv.
382 Marcel Reich-Ranicki an Wolfgang Kraus., 5. September 1984, ÖGL-Archiv.
383 Wolfgang Kraus an Heinz Felsbach, 31. August 1984, ÖGL-Archiv.
384 Fritz Herrmann: Trara trara die Hochkultur! Schnadahüpfeln. In: Neues Forvm 24 (1977),
H. 280/281, S. 50 f.
385 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 25. Jänner 1977, NL WK.
386 Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher: Literatur in Österreich 1938–1945. Handbuch eines
literarischen Systems. Bd. 3: Oberösterreich. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2014, S. 212.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
280 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437