Seite - 307 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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gesellschaft befallen habe, nämlich dem „Wohlstand“, der die Kultur in den
Abgrund riss:
Wie kommt man aus diesem sterilen Gedeihen, diesem kulturtötenden Wohlstand
heraus, ohne den Wohlstand zu vernichten? Fallen wir einer Verschweizerung
anheim, vielleicht mit gemütvoller Heurigenvariante? All das ließe sich vom Staat
her, jawohl, von oben her leicht ändern: Redaktionsstellen in Zeitschriften für
Autoren und Literaten, Steuerbegünstigung für Literaturverlage, Wohnungen für
Autoren, bessere Honorare im Rundfunk, ein vernünftiges Fernsehen – aber unse-
re liberalen und konservativen Provinzler verstehen das nicht, die Regierung will
es nicht, den Bürger interessiert es nicht, also versumpern wir weiter.43
Kraus sah das kulturpolitische System der Förderung, das den Schriftstellerin-
nen und Schriftstellern zugutekommen sollte, durch die an den Schaltstellen
sitzenden Bürokraten bedroht, die darüber entschieden, was förderungswürdig
war und was nicht, sowie die Gesellschaft selbst, der er Interesselosigkeit hin-
sichtlich kultureller Belange vorwarf: „So wird die Freiheit der Künstler eine
willkommene Ausrede für die Interesselosigkeit und Bequemlichkeit der Staats-
beamten.“44 Neben der expliziten Kritik der Fachfremdheit der „Staatsbeamten“
gegenüber kulturellen Sachverhalten ist es Kraus hier auch implizit um eine
intermittierende Instanz zwischen Staat und künstlerischen Persönlichkeiten zu
tun, wobei er selbst in dieser Rolle auftrat.
5.2 Jenseits der Parteipolitik?
In der Folge soll nun Kraus’ Position zwischen literarischem und politischem
Feld dargestellt und den (literatur-)historischen und kulturpolitischen Entwick-
lungen gegenüberstellt werden. Anlässlich der Verleihung des Österreichischen
Staatspreises für Publizistik am 27. Jänner 1984 an Kraus, wies der damalige
Unterrichtsminister Helmut Zilk in seiner Laudatio darauf hin, dass Leben und
Arbeit des Preisträgers „letztlich, ausschließlich“ Österreich zum Inhalt hätten:
„Sie sehen’s aus der österreichischen Sicht. Sie sehen’s als Österreicher.“45
Sicher nicht durch Zufall hat der US-amerikanische Historiker William H.
Johnston neben u. a. Viktor Suchy und Friedrich Heer sein Werk Der österrei-
chische Mensch. Kulturgeschichte der Eigenart Österreichs auch Wolfgang Kraus
43 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 21. August 1977, NL WK.
44 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 17. Februar 1984, NL WK.
45 Mittagsjournal, 27.
Jänner 1984. Österreichische Mediathek. URL: https://www.mediathek.at/
atom/0A4E1CDB-0E2-0001E-00000BA0-0A4D7CE5 [zuletzt aufgerufen am 15.1.2020].
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Jenseits der Parteipolitik? 307
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437