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1.2 Biographische Einführung
Der Journalist und Literaturkritiker Hans Haider, ehemaliger Mitarbeiter in der
ÖGL, beschreibt Wolfgang Kraus als einen „stattlichen Mann“, der meist zu einer
„grauen Hose einen blauen Blazer“ trug: „Seine Sonnenbräune holte er sich in
vielen Kurzurlauben und im [Wiener] Gänsehäufl-Bad. Seinem Sprechton war
eine gewinnende Freundlichkeit unterlegt, seinem Temperament hat er die Zügel
der Verbindlichkeit angezogen. […] Kraus wusste den Staat hinter sich – und sich
dennoch frei.“48 Kraus war tatsächlich parteilos, im Nachlass finden sich keine
Spuren einer Mitgliedschaft bei den großen österreichischen Parteien ÖVP oder
SPÖ. Dennoch: Sein Literaturverständnis muss als konservativ bezeichnet wer-
den, was ihn in ÖVP-Nähe rückt, aus deren Reihen sich auch seine wichtigsten
Förderer, darunter Josef Klaus, rekrutieren. Denn wichtig war Kraus die religiö-
se Komponente in Leben und Kunst, vor allem in ihrer katholischen Ausprägung.
Mit der Bezeichnung „Homme de lettres“, auf die Kraus bei Selbstbeschrei-
bungen zurückgriff,49 ist auf die Epoche der Aufklärung verwiesen, in deren
„Licht“ sich Kraus selbst sah. Seine Verbindung mit der „Macht“, also den staat-
lichen (kulturpolitischen) Stellen, ist damit markiert, fungierte ein „Homme de
lettres“ im 16. und 17.
Jahrhundert doch quasi als ein Sekretär von adeligen und
politisch hochgestellten Persönlichkeiten bzw. als jemand, der das Interesse des
Mäzens an Literatur dokumentieren sollte.
Kraus darf man durchaus, wie Bourdieu diese Kategorie mit Hinblick auf
Raymond Aron definiert hat, zu den konservativen Intellektuellen zählen. Denn
es ist auch für Kraus zutreffend, dass die „gesamte Produktion der konservati-
ven Intellektuellen […] im Zeichen der objektiven Beziehungen [steht], die sie
mit anderen Positionen des Feldes“ verbinden und die sich „ihnen über die der
Struktur des Feldes selbst immanente spezifische Problematik“50 aufzwingen.
Konservative Intellektuelle stellen ein träges bzw. passives Moment gegenüber
den anderen Akteuren im Feld dar, da es nicht ihr Impetus ist, „eine Welt zu
problematisieren, der sie nichts Böses nachzusagen haben und über die sie daher
auch nichts zu sagen hätten, stellte das kritische Denken sie nicht in Frage, das
zu kritisieren sie nicht lassen können.“51 Darauf wird in der Folge, vor allem im
Kontext von Kraus’ Kulturkritik, noch zurückzukommen sein (vgl. Kapitel 5.1).
48 Hans Haider: Neutrales Parkett und der Marshall Plan of the Mind. Kulturpolitische Anmer-
kungen zu Wolfgang Kraus. Vortrag gehalten auf der Wolfgang Kraus Soirée der ÖGL am
9. September 2008. Für die Überlassung des Manuskripts dankt der Verfasser Hans Haider.
49 N.
N.: Interview mit Dr.
Wolfgang Kraus. In: Augsburger Allgemeine, 31.
Oktober 1959. „[…]
und zähle nun zu jener sonderlichen Gattung von Menschen, die in Frankreich unter der
Bezeichnung ‚homme de lettre‘ bekannt sind.“
50 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 439. [Kursivierung im Original.]
51 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
22 Einleitung
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437