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2.1.2 Institutionen, Kulturveranstaltungen und Vereine
Sicherlich gab es bereits vor der Etablierung der ÖGL Initiativen, die sich der
Organisation des Literaturbetriebs widmeten und innerhalb des literarischen
Feldes eine Wirksamkeit entfalteten, jedoch übernahmen diese zunächst Auf-
gaben, die mehr zur Ausdifferenzierung des Feldes beitrugen. Hinsichtlich einer
organisierten Struktur des „Literaturbetriebs“ ist zunächst der bereits am 11.
Juni
1945 gegründete „Verband der demokratischen Schriftsteller und Journalisten
Österreich“ (VdSJÖ) zu nennen. Zum Proponentenkomitee des VdSJÖ zählten
Ferdinand Kögl, Edwin Rollett, Ernst Fischer, Viktor Matejka, Oskar Maurus
Fontana, Rudolf Henz, Alexander von Sacher-Masoch, Franz Karmel und Lud-
wig Vincenz Ostry. Die Absicht des bundesweit wirkenden Verbandes war „der
Schutz und die Wahrung der Standesehre, die Förderung künstlerischer, wirt-
schaftlicher und gesellschaftlicher Interessen der Schriftsteller und Journalisten
Österreichs auf jede Art, sowie die Unterstützung notleidender Mitglieder“43.
Der Verband hatte in den Nachkriegsjahren eine offizielle Stellung inne, da die
Funktionen des VdSJÖ, die in anderen beruflichen Bereichen der Gewerkschaft
zugefallen wären, von diesem ausgeübt wurden. Eine wichtige Funktion nahm
der VdSJÖ in der „Entnazifizierung“ der Literatur bzw. des Literaturbetriebs ein,
was jedoch – wie Gerhard Renner konstatiert hat –, bewirkt durch Publikums-
geschmack und Präferenzen der Kulturpolitik, zu einem Vergessen der NS-Ver-
gangenheit führte und den ehemaligen nationalsozialistischen Schriftstellerin-
nen und Schriftstellern gestattete, auch in der Zweiten Republik eine Rolle zu
spielen.44 Die Schriftsteller Milo Dor und Reinhard Federmann klagen Anfang
1952 in einer Rundfunksendung im Hessischen Rundfunk zu Recht über eine
43 Roman Roček: Zur Neufassung der Statuen 1993. Wien: Eigenverlag d. ÖSV 1993. Zit. n. Roček:
Glanz und Elend des P.E.N., S. 242; vgl. dazu auch Daniel Englisch: Der Verband demokrati-
scher Schriftsteller und Journalisten Österreichs: Beispiele kulturpolitischer Interessensvertre-
tung 1945–1950. Univ.-Dipl. Wien 1996.
44 Vgl. Gerhard Renner: Entnazifizierung der Literatur. In: Sebastian Meissl, Klaus-Dieter Mul-
ley, Oliver Rathkolb (Hg.): Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich
1945–1955. Symposion des Instituts für Wissenschaft und Kunst, März 1985. Wien: Verlag für
Geschichte und Politik 1986, S. 202–229, hier S. 202. Wie Renner darstellt, bleiben die gesetz-
lichen Maßnahmen hinsichtlich der Literatur bzw. des Literaturbetriebs „von seltener Folgen-
losigkeit“ (S. 203). Richard Dolberg, Leiter der Sektion „Schrifttum und Verlagswesen“ im
Bundesministerium für Unterricht, stellte die (gescheiterten) Ziele der Entnazifizierung anläss-
lich einer Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Unterrichtsministeriums 1948 auf drei
Ebenen dar, die Säuberung der Bibliotheken, Leihbüchereien und Buchhandlungen von nati-
onalsozialistischen und faschistischen Werken, die Sorge um den Missbrauch der neuen demo-
kratischen Grundsätze der Pressefreiheit und freien Meinungsäußerung sowie die Abwehr von
ehemaligen Nazis, die sich als Schriftstellerinnen bzw. Schriftsteller oder Verlegerinnen und
Verleger Zutritt zum staatspolitisch wichtigen Literatursektor verschaffen könnten.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
54 Der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437