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Zunächst sollen die (kultur-)politischen Rahmenbedingungen der Zweiten
Republik, unter denen ein „Literaturbetrieb“ mehr oder weniger gedieh, umris-
sen werden. Daran reiht sich eine Darstellung aus literaturgeschichtlicher Pers-
pektive, die überprüfen möchte, inwiefern Vereine und Institutionen, die mit
Aufgaben des „Literaturbetriebs“ betraut waren, ihre Wirkung entfalteten bzw.
auch scheiterten. Zudem werden auch literarische Zeitschriften, staatliche Preis-
vergaben, das österreichische Verlagswesen, die literarische Öffentlichkeit sowie
Initiativen einzelner Akteure überblicksartig in den Fokus gerückt, um gewis-
sermaßen das Feld abzustecken, in dem dann die ÖGL eine wirkungsmächtige
Tätigkeit entfalten sollte.
2.1.1 Politische Rahmenbedingungen: Österreich nach 1945
Als „Rückbruch“ bezeichnet der Historiker Ernst Hanisch, was 1945 als politi-
scher „Systembruch“ stattfand: die ideologische Rückkehr zur Ersten Republik.22
Die demokratischen Institutionen der Ersten Republik wurden restauriert, es
gab aber auch Kontinuität zum zwischen 1934 und 1938 autoritär regierten aus-
trofaschistischen „Ständestaat“. Mit der „Befreiung“ Österreichs durch die Alli-
ierten wurde Österreich im April 1945 in den Grenzen von 1918 mit der Verfas-
sung der Ersten Republik von 1920/1929 wiederbegründet. Bei den ersten
Parlamentswahlen kamen die Kommunisten noch auf fünf Prozent – schieden
aber bei der Nationalratswahl 1947 aus der Regierung aus – und zählten dem-
nach kurzfristig, neben der ÖVP und der SPÖ, zu den drei im Parlament ver-
tretenen Parteien, deren Tätigkeit jedoch durch das Wirken der Besatzungs-
mächte zunächst eingeschränkt blieb. Bis 1966 sollte sich die Koalition von ÖVP
und SPÖ halten, die sich auf den „Geist der Lagerstraße“ gründete und den Bür-
gerkrieg vom Februar 1934 in sozialpartnerschaftliches Schweigen hüllte.
Die österreichischen Parteien bemühten sich um eine dezidierte Abwendung
von der Bundesrepublik Deutschland und versuchten, die eigene Schuld am
Zweiten Weltkrieg herunterzuspielen. Dominierend waren die Bemühungen um
den Staatsvertrag, um politische Autonomie zu gewinnen, womit eine exaltier-
te „Österreich-Ideologie“ einherging, die nicht dazu geeignet war, eine kritische
Perspektive gegenüber der eigenen Geschichte („Ständestaat“, Nationalsozialis-
mus) zu gewinnen. Die Versuche der Politiker und Kulturpolitiker, Österreich
setzungssystems der Literatur in Österreich zwischen 1945 und 1966. In: Karl Pestalozzi, Alexan-
der von Bormann, Thomas Koebner (Hg.): Vier deutsche Literaturen? Literatur seit 1945. Nur
die alten Modelle? Tübingen: Niemeyer 1986 (= Kontroversen, alte und neue 10), S. 37–56.
22 Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im
20. Jahrhundert. Wien: Carl Ueberreuter 1994, S. 395.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Entwicklung(en) des Literaturbetriebs nach 1945 49
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437