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20 1. Einleitung
nen.49 So wie der ständische Bauernbegriff an die Landbevölkerung gebunden war,
war der ständische Bürgerbegriff an eine Stadt gebunden, in der Männer das Bür-
gerrecht besitzen konnten.50 Pfurtscheller konnte in diesem Sinne also schon allein
aufgrund seines Wohnsitzes kein Bürger sein. Doch der Bürgerbegriff – und mit ihm
implizit auch der Bauernbegriff – erfuhr eine Wandlung: weg von einer ständischen
Gesellschaftsordnung und hin zur Gemeinschaft von Staatsbürgern einerseits, zum
anderen wurde er zur Bezeichnung für „eine etwas diffuse Schicht, zu der jeder ge-
hören konnte, der sich durch ‚Besitz‘ oder ‚Bildung‘ auszeichnete“.51 Statt des klar
definierten Kriteriums des Besitzes des Bürgerrechts in einer Stadt entstand nunmehr
ein ganzer Katalog von Merkmalen, die die Frage „Bürger oder nicht?“ interpretier-
bar machten, je nachdem, ob diese Merkmale zutrafen oder nicht.52 Wirtschaftliche
Selbstständigkeit, finanzielle Potenz, höherer Bildungsgrad, Lebensstil, Familienideal,
Fremdsprachenkenntnisse, kulturelles Interesse, Engagement in Vereinen – die Liste
der Erkennungsmerkmale ließe sich noch weiter fortsetzen. Wie hoch die „Messlatte“
angelegt wurde beziehungsweise wird – wie viele Kriterien in welchem Ausmaß zu
erfüllen waren oder sind – ist dabei die Frage.53
Die vorliegende Untersuchung wird auf den folgenden Seiten die Konturen eines
Menschen erkennen lassen, der sich ganz offensichtlich vom Großteil der Zeitgenos-
sen seiner regionalen Umgebung unterscheidet – vor allem durch seine finanzielle Po-
49 Sehr deutlich wird dies beispielsweise, wenn Pfurtscheller 1809 als stellvertretender Deputierter des
Bauernstandes bei der Innsbrucker Schutzdeputation auftritt (vgl. Kap. 3.3.5.4.).
50 Vgl. Jürgen Kocka, Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom spä-
ten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, in: Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, hg. v. Jürgen
Kocka, Göttingen 1987, S. 21–63, hier: S. 21–23.
51 Andreas Fahrmeir, Das Bürgertum des „Bürgerlichen Jahrhunderts“, in: Bürgerlichkeit ohne Bür-
gertum. In welchem Land leben wir?, hg. v. Heinz Bude, Joachim Fischer und Bernd Kauffmann,
München 2010, S. 23–32, hier: S. 25. – Besonders Jürgen Kocka hat sich Ende der 1980er-Jahre
intensiv mit der Transformation des Bürgerbegriffes beschäftigt: Kocka, Bürgertum und Bürgerlich-
keit, 1987; sowie: ders., Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Europäische
Entwicklungen und deutsche Eigenarten, in: Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 1, hg. v. Jürgen
Kocka, München 1988, S. 11–76.
52 Vgl. Fahrmeir, Bürgertum des „Bürgerlichen Jahrhunderts“, 2010, S. 25 f.
53 Vgl. ebd., S. 26. – Dass heute, noch bevor eine – zum Teil aber wohl eben auch weil keine – wirkli-
che Definition des Bürgertums des 19. Jahrhunderts gefunden ist, von einigen bereits massiv an der
grundsätzlichen Sinnhaftigkeit dieses Begriffs gezweifelt wird, soll nicht verschwiegen werden, wird
aber im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch nicht weiter explizit diskutiert. Andreas Fahrmeir hat
diese Frage an prominenter Stelle – in der Enzyklopädie der Neuzeit – festgehalten. (Vgl. Andreas
Fahrmeir, Bürgertum, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart 2005, Sp. 583–594, hier: Sp.
591 f.) Diese Arbeit versteht sich als ein Baustein zum besseren Verständnis der Jahre 1750 bis 1850.
Sie will somit also auch zum besseren Verständnis dessen beitragen, wofür der Begriff Bürgertum
nach wie vor unumgänglich scheint.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Title
- Ein Bürger unter Bauern?
- Subtitle
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Author
- Michael Span
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 470
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435