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50 2. Jugend- und Ausbildungsjahre
waren, die nicht in den Unterricht geschickt wurden. Von den 60 weiblichen Schul-
pflichtigen besuchten – so geht aus den Antworten auf den erwähnten Fragebogen
hervor – nur 46 tatsächlich die Schule. Der kreisamtliche Fragebogen erkundigte sich
auch nach den Gründen derjenigen, die ihre Kinder nicht in die Schule schickten.
Dies habe zwei Hauptgründe, so die Antwort aus Fulpmes: Erstens seien die Familien
auf die Arbeitskraft der Kinder in der „Hausarbeit“ angewiesen – eine Begründung,
die in nahezu allen Orten Tirols angeführt werden konnte. Dies gilt jedoch nicht für
das zweite, sehr lokalspezifische Argument der Fulpmer Eltern, nämlich, dass „die
grossen bey der Eisen Fabric gebraucht werden können“.31
„Die Leistungen und Folgen dieses Unterrichts waren nun allerdings sehr mäßig; die we-
nigsten Kinder lernten im ersten Winter ordentlich lesen, und zwar nur das Gedruckte; das
Geschriebene ging noch langsamer, und zum richtigen Durchlesen eines Briefes oder einer Ur-
kunde brachten es nur die Vorzüglichsten. Das Schreiben lernten Viele aber nur in der ganzen
Zeit der drei bis fünfjährigen Schulzeit, aber die Meisten verlernten es dann wieder, so daß da-
mals nur selten ein Briefschreiber in Hintersee zu finden war. Rechnen lernten wir gar nicht.“32
So lautet das ernüchternde Urteil des 1787 im hinteren Passeier geborenen Medizi-
ners Joseph Ennemoser über die Grundschulzeit in seinem Heimattal in den Neun-
zigerjahren des 18. Jahrhunderts. Daraus sind nur sehr bedingt Schlüsse über die in
der Trivialschule in Fulpmes um 1785 – also rund zehn Jahre früher – erreichten
Bildungsstandards zu ziehen. Diese unterschieden sich von Ort zu Ort massiv. Al-
lein schon aufgrund der relativ kurzen Dauer des Schuljahres, einem Schüler-Leh-
rer-Verhältnis von rund 50 zu 1, und nicht zuletzt unter Berücksichtigung der or-
thographischen Fähigkeiten Michael Pfurtschellers – ein als zumindest im regionalen
Vergleich erfolgreicher Eisenwarenverleger schreibgeübter Mann – liegt jedoch der
Schluss nahe, dass die Qualität des Unterrichts trotz der oben erwähnten vorbild-
haften Schulsituation im Stubaital als nicht allzu hoch anzunehmen ist. Mehr als
Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen wurden keinesfalls vermittelt.
Nach Paragraph 5 der allgemeinen Schulordnung sollten an den Trivialschulen
jedenfalls die folgenden Gegenstände unterrichtet werden:
„A. Die Religion, und deren Geschichte, nebst der Sittenlehre aus dem Lesebuche. B. Das
Buchstabenkennen, Buchstabiren, und Lesen geschriebener und gedruckter Sachen, die
31 Vgl. Fragebögen zum Stubaier Schulwesen, 15. Dezember 1785, TLA, Sammelbestand Finanzbe-
hörden, Fasz. 475.
32 Rachewiltz, Joseph Ennemoser, 2010, S. 44.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Title
- Ein Bürger unter Bauern?
- Subtitle
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Author
- Michael Span
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 470
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435