Page - 161 - in Ein Bürger unter Bauern? - Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
Image of the Page - 161 -
Text of the Page - 161 -
3.3. 1809 161
Woher Michael Pfurtscheller die Information hatte, dass Jelačić die feindlichen
Truppen im Osten bedrohte, lässt sich nur mutmaßen. In seinem Nachlass finden
sich diesbezüglich keinerlei Hinweise, wohl aber in der bereits mehrfach erwähnten
Sammlung von Quellen zum Werk Joseph Rapps. Hier findet sich ein Schreiben des
Stadtmagistrats Hall an die Gemeindevorstehungen von Rinn und Tulfes – also die
Region, in der die Stubaier Landstürmer postiert waren – vom 15. Mai 1809. Es
berichtet von der vermeintlich erfreulichen Situation im Unterinntal und ersucht die
Adressaten, diese Nachricht den in ihren Gemeinden postierten Landsturmkontin-
genten mitzuteilen.470 Die Hoffnungen Pfurtschellers auf breite Unterstützung durch
das reguläre kaiserliche Militär erfüllten sich jedoch nicht. Jelačić war mit seinen
Truppen nicht nach St. Johann in Tirol, sondern nach St. Johann im Pongau, zirka
60 Kilometer weiter östlich, vorgerückt.471 Der ins Wipptal zurückgezogene Chaste-
ler hatte auch nicht genügend Truppen, um zu Hilfe kommen zu können. Wiederum
war es von Stolz, der Pfurtscheller davon in Kenntnis setzte. „Ich […] muß Ihnen
hiermit die leidige Nachricht geben, daß von hier [Steinach] aus kein Militär Sukurs
abgegeben werden wollen“,472 so von Stolz.
Viele Landstürmer waren erzürnt über die geringe Unterstützung durch reguläre
österreichische Truppen und betrachteten Chasteler als Alleinverantwortlichen für
die Niederlage bei Wörgl. Auf seinem Rückzug nach Innsbruck war Chasteler unter-
wegs teilweise sogar handgreiflichen Anfeindungen durch Tiroler ausgesetzt.473 Auch
MP, III, Bund 2, Nr. 1. – Auch Anton Knoflach berichtet in seinem Tagebuch von der kurzen Freude
über die Nachricht, die gegnerischen Truppen wären derart in Bedrängnis, dass ihnen nur der Rück-
zug über das Achental nach Bayern übrigbliebe. Gedruckte Proklamationen, die dies behaupteten,
seien im Umlauf gewesen. Wie im Stubaital seien jedoch auch in Innsbruck „kaum eine Stunde“
später die Nachrichten revidiert worden: „[…] der Feind, hieß es, nähere sich schon Hall; in einigen
Stunden könne er hier sein. Man sah nur verstörte Gesichter; Weiber heulten; solche Scenen sind
unbeschreiblich.“ (Schumacher, Knoflach’s Tagebuch, 1909, S. 10 f.)
470 Vgl. Unterlagen zu J. Rapp Tyrol 1809, TLMF-Bib., FB 1649, Periode II, Nr. 44. – Auf der Rück-
seite des Schreibens findet sich der Vermerk „Schreiben des Stadt-Magistrat Hall vom 15 Maj 1809“.
Dieser Vermerk dürfte einem Vergleich der Handschrift zufolge von Michael Pfurtscheller stammen.
Er kannte also dieses Schreiben.
471 Josef Hirn erklärt dieses Missverständnis in seinem Werk ausführlich und betont die weite Verbrei-
tung dieser Fehlinformation unter den Landsturmaufgeboten. (Vgl. J. Hirn, Tirols Erhebung, 1909,
S. 407.)
472 Joseph von Stolz an Michael Pfurtscheller, 16. Mai 1809, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, III,
Bund 2, Nr. 29.
473 Vgl. Rapp, Tirol 1809, 1852, S. 252–256; sowie: J. Hirn, Tirols Erhebung, 1909, S. 405 f. – Erst
in jüngeren militärhistorischen Untersuchungen wird die Niederlage bei Wörgl nicht mehr aus-
schließlich auf das Versagen Chastelers zurückgeführt. Der für Chastelers Truppen ungünstige Ort
des Zusammentreffens mit denen Lefebvres ist weniger Chastelers Unfähigkeit als vielmehr dem
Zeitdruck zuzuschreiben unter dem er stand. Zudem war seine Unterstützung durch Landsturmauf-
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Title
- Ein Bürger unter Bauern?
- Subtitle
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Author
- Michael Span
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 470
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435